taz Berlin,11.10.2000

Illegal, in Abschiebehaft

Selbst wenn sie freiwillig ausreisen wollen, sitzen Ausländer oft monatelang in Abschiebehaft. Auch Minderjährige und Schwangere werden inhaftiert. Die Grünen wollen die Regelung liberalisieren

von ANDREAS SPANNBAUER

Die Frauen sitzen zu zehnt in einer Zelle, manchmal über neun Monate lang. Duschvorhänge gibt es in den sanitären Anlagen keine. Die Wärter sind oft männlich und für diese Arbeit nicht ausgebildet. Ein Verbrechen haben die 35 Frauen, die derzeit in der Abschiebehaftanstalt Kruppstraße inhaftiert sind, nicht begangen. Ihr einziges Delikt: Sie wurden ohne gültige Papiere festgenommen. Im Bezirk Tiergarten warten diese Frauen, von denen eine schwanger ist, auf eine endgültige Entscheidung über ihren Aufenthaltsstatus.

Insbesondere die lange Haftdauer ist nach Ansicht der Grünen im Abgeordnetenhaus nicht nur inhuman, sondern oft auch rechtswidrig. Die Haftanstalten seien nur auf einen Aufenthalt von wenigen Wochen ausgerichtet, kritisiert die grüne Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz. Doch immer häufiger würden die Gerichte über die Fortdauer der Haft, die mit Fluchtgefahr begründet wird, erst nach sechs Monaten entscheiden.

"Die Gerichte lassen sich Zeit, und die Menschen verschimmeln", sagt auch der grüne Abgeordnete Hartwig Berger. Nach seiner Auffassung wird die Abschiebehaft immer häufiger zu einer rechtwidrigen Beugehaft umfunktioniert. Betroffen davon sind vor allem aufgegriffene Illegale, deren Papiere verschwunden sind. Mit der langen Haft sollten die Flüchtlinge zur Kooperation bei der Beschaffung neuer Dokumente gezwungen werden. Berger hält dies für rechtswidrig: "Der Mangel an Mitarbeit darf in einem Rechtsstaat ebensowenig ein Grund zur Verlängerung der Haft sein wie die Verweigerung der Aussage."

Als zusätzliches Problem erweist sich, dass die Herkunftsländer oft an der Rücknahme der Flüchtlinge nicht interessiert sind und bei der Beschaffung der Papiere mauern. Am Ende erhalten die Betroffenen nicht selten eine Duldung, weil sie nicht abgeschoben werden können - nach monatelanger Haft.

Selbst 25 Minderjährige waren entgegen internationalem Kinderrecht Mitte September in Berlin eingesperrt. Dass die Inhaftierung von Jugendlichen bei einem Überschreiten der Altersgrenze von 16 Jahren zulässig ist, hat die rot-grüne Bundesregierung zu verantworten. Doch auch Jugendliche, die nach eigenen Angaben jünger als 16 sind, landen in Berlin hinter Gittern.

Zumindest die lange Haftdauer soll nach einem Vorschlag der Grünen ein Ende finden. In einem Antrag zur Vermeidung von Abschiebungshaft fordern sie die Einführung eines 3-Stufen-Modells. Demnach sollen Ausreisepflichtige ihren Aufenthaltsort bei den Behörden anmelden und sich freiwillig zu dem für sie gebuchten Flug einfinden. Erst wenn der Betroffene nicht erscheint und auch unter der angegebenen Adresse nicht anzutreffen ist, wird er inhaftiert. So bleibt Ausreisewilligen die Prozedur erspart. In Duisburg wird dieses Modell von der Ausländerbehörde bereits erfolgreich praktiziert. Der Innenausschuss soll sich am 23. Oktober mit dem Vorschlag beschäftigen. Berger hat Jugendsenator Klaus Böger zudem aufgefordert, sich für die Freilassung Minderjähriger einzusetzen.

fall eins Frau V., Vietnamesin Die Vietnamesin V. sitzt seit drei Wochen in Abschiebehaft. Zusammen mit einem Deutschen hat sie ein sechsjähriges Kind: Die Vaterschaft ist urkundlich anerkannt. Das Kind besitzt damit die deutsche Staatsbürgerschaft. Da Frau V. das Sorgerecht für den Jungen ausübt, hat sie Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Kind fragt jeden Tag weinend, wann die Mutter nach Hause kommt.

fall zwei Frau S., Inderin Frau S., Inderin, war auf dem Weg zu ihrem in den USA lebenden Ehemann. Schlepper brachten die unwissende S. nach Berlin, von wo aus sie weiterreisen wollte. S. sitzt seit April in Abschiebehaft. Ein Cousin aus Stuttgart hat sich zu einer Aufnahme bereit erklärt und will die Ausreise ermöglichen - erfolglos. Seit 6 Monaten hat S., die nur Hindi spricht, sich mit niemanden unterhalten.

fall drei Frau N., Moldawierin Die 20-jährige Moldawierin N. wollte zu ihrem Ehemann, der legal in Portugal lebt. An der deutsch-tschechischen Grenze wurde sie festgenommen. Weil sie keinen Pass hat, kann sie nicht nicht nach Moldawien zurückkehren. Die moldawische Botschaft wurde nach ihren Aussagen bisher nicht benachrichtigt. Frau N. sitzt seit Wochen fest und weiß nicht, wie es weitergehen soll.

fall vier Herr A., Libyer Riad A., nach eigenen Angaben 15 Jahre alt, sitzt seit Anfang Juli in Haft. Die Ausländerbehörde unterstellte dem Jungen ein Alter von 17 Jahren, obwohl die medizinische Altersfeststellung eine Irrtumsbreite von 2 Jahren aufweist. Sein Vater ist tot, die Mutter lebt in einer psychiatrischen Anstalt, Kontakt zu seinem Herkunftsland hat er nicht. Heute sollte er nach Tunesien abgeschoben werden.