junge Welt, 10.10.2000 Fast blind in Isolationshaft Mit dem Prozeß gegen Nuri Eryüksel setzt Justiz Verfolgung türkischer Linker fort Für Richter Mentz von der Hamburger Staatsschutzkammer ist es schon Routine. Nach den Verfahren gegen Ilhan Yelkuvan und Mesut Demirel beginnt am Dienstag erneut ein Prozeß gegen einen Aktivisten, der in Deutschland und der Türkei verbotenen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C). Die Anklage wirft dem anerkannten politischen Flüchtling Nuri Eryüksel vor, Deutschlandverantwortlicher der Organisation gewesen zu sein und klagt ihn nach dem Antiterrorparagraphen an. Nach von der Bundesanwaltschaft bei Interpol erwirktem internationalen Haftbefehl, wurde Eryüksel im Herbst 1999 in der Schweiz festgenommen und kurze Zeit später ausgeliefert. Seitdem sitzt er in Isolationshaft; 23 Stunden allein in der Zelle und eine Stunde Einzelhofgang. »Für Eryüksel handelt es sich um eine doppelte Isolation«, meinte der Prozeßbeobachter Wolfgang Lettow. Denn Eryüksel kann sich nicht mit Lektüre oder Fernsehen seine Zeit vertreiben. Er hat seine Sehfähigkeit auf beiden Augen fast eingebüßt und kann nur noch hell und dunkel unterscheiden. Eine Person, die ihm Zeitungen und Briefe vorliest, sei ihm bisher nicht bewilligt worden. Die schwere Augenschädigung ist die Folge eines Faustschlages, den er von einem Soldaten in einem türkischen Gefängnis erhielt. Eryüksel war dort elf Jahre lang eingesperrt und war einer der Angeklagten im von der damaligen Militärjunta eröffneten Mammutprozeß gegen die Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) in den 80er Jahren. Damals wurde er von Murat Demir verteidigt. Der engagierte linke Strafverteidiger lebt heute als Exilant in Köln. Juristisch kann er Eryüksel nicht mehr beistehen, dafür setzte er sich am Montag auf einer vom Komitee gegen Isolationshaft (IKM) in Hamburg veranstalteten Pressekonferenz für seinen ehemaligen Mandanten ein. Dabei berichtete er über den Grund von Eryüksels Flucht aus der Türkei nach dessen Entlassung. »Infolge der Haftbedingungen hatte sich sein Gesundheitszustand zunehmend verschlechtert, und er beantragte in Deutschland Asyl«. In dieser Zeit betätigte er sich auf dem Gebiet von linker Kultur und Musik. Auch der Landesgeschäftsführer der PDS Hamburg, Roman Scharwächter, setzte sich auf der Pressekonferenz für Eryüksels Freilassung ein. Ihm gehe es dabei nicht um eine Aussage zur Politik der DHKP-C, sondern um eine humanitäre Angelegenheit. Eine IKM-Vertreterin stellte die Anklage gegen Eryüksel in den Kontext der Verfolgung linker Exilstrukturen durch die deutsche Justiz. Wie in den 80er Jahren gegen die PKK werde seit Ende der 90er Jahre gegen die DHKP-C vorgegangen. Dabei werde auf Aussagen von Kronzeugen zurückgegriffen, die teilweise heute unauffindbar sind. Sie machte darauf aufmerksam, daß für einige der türkischen Gefangenen nach der Verbüßung ihrer Strafe längst nicht die Freiheit winkt. So sind der in Berlin inhaftierte Ihsan Ersoy und der in Hamburg einsitzende Ali Ekti nach ihrer Haftentlassung von der Abschiebung in die Türkei bedroht. Dort könnten abermals Isolationstrakte auf sie warten. Nach dem Vorbild des Hochsicherheitstraktes Stuttgart-Stammheim plant die Türkei die Unterbringung der politischen Gefangenen in Isolationszellen. Peter Nowak |