Frankfurter Rundschau, 12.10.2000 Wer ohne Erlaubnis woanders hinfährt, muss zahlen oder fliegt raus Ein Asylbewerber steht vor Gericht, weil er gegen die "Residenzpflicht" verstoßen hat / UNHCR rügt deutsche Regelung Von Anke Schwarzer (Hamburg) Wegen Verstoßes gegen die so genannte Residenzpflicht steht am heutigen Donnerstag der Asylbewerber Cornelius Yufanyi vor dem Amtsgericht Worbis in Nordthüringen. Weil er mehrmals den Verwaltungsbezirk, in dem er gemeldet ist, ohne Genehmigung verlassen hat, und sich weigert, die verhängte Strafe von 600 Mark zu zahlen, droht ihm nun eine Gefängnisstrafe. Nach Auffassung des Flüchtlingshilfswerks UNHCR verstößt diese deutsche Praxis gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Der Kameruner Yufanyi schloss sich 1999, kurz nach seiner Einreise nach Deutschland, der Flüchtlingsorganisation "The Voice" an, die mit der bundesweiten Initiative "Karawane - Für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen" gegen die Residenzpflicht protestiert. Seit 1982 unterliegen Asylsuchende, deren Anträge noch bearbeitet werden, einer Aufenthaltsbeschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz. In der EU ist dieses Gesetz einmalig. Der Jugend- und Familienrichter am Amtsgericht Kirchhain, Werner Schwamb, der sich mit dem Thema eingehend beschäftigt hat, bezeichnet die Residenzpflicht als eine "Schikane, die als unverhältnismäßiger Eingriff in natürliche Rechte unbescholtener Menschen zu werten sind". Genehmigungen für eine kleine Reise erteilen die Behörden äußerst restriktiv. In der Regel müssen Asylsuchende für ihre Spazierfahrt oder den Arztbesuch auch bezahlen: zwischen 15 und 20 Mark kostet eine Erlaubnis, hinzu kommen Fahrtkosten zur jeweiligen Ausländerbehörde. Noch teurer wird es, wenn Flüchtlinge ohne Genehmigung außerhalb des Landkreises, beispielsweise an Bahnhöfen oder Autobahnraststätten, von der Polizei kontrolliert werden. Bei mehrmaligen Verstößen gegen die Residenzpflicht, wie im Falle Yufanyis, droht eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr, eine Geldstrafe bis zu 5000 Mark oder der Ausweisungsbescheid. Das Landratsamt Wartburgkreis in Thüringen schickte im Frühjahr einen Ausweisungsbescheid an den Asylbewerber José Maria Jones wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht. Nach Ansicht der Behörde beeinträchtigen unerlaubte Reisen "die öffentliche Sicherheit und Ordnung maßgeblich". Deshalb soll ein mehrmaliger Verstoß gegen die Residenzpflicht zur Ausweisung des Asylsuchenden führen. Welche Rechtsgüter wegen ungenehmigter Reisen in Gefahr stehen, wird aber nicht erklärt. Vielmehr argumentiert die Behörde generalpräventiv: "Eine Ahndung mit allen Mitteln durch die Behörden ist geboten, um andere Ausländer von einem ähnlichen Fehlverhalten abzuhalten." Hintergrund im Fall Yufanyi ist ein internationaler Flüchtlingskongress, der im Frühjahr in Jena stattgefunden hat. Zahlreiche Flüchtlinge, die den Kongress besuchen wollten, erhielten damals keine Reisegenehmigung. Auch Yufanyi, der an der Vorbereitung des Kongresses beteiligt war, wurde die Teilnahme von dem Sachgebietsleiter Manfred Schäfer der Ausländerbehörde Eichsfeld verboten. Yufanyi reiste trotzdem. In Jena interviewte ihn die Thüringer Allgemeine. Schäfer las das Interview und leitete es an die Polizei weiter. "Mein Rechtsanwalt und ich werden dem Gericht sagen, dass es mein Recht ist, mich politisch zu engagieren, und dass es mein Recht ist, mich frei zu bewegen. In Kamerun wurde ich politisch verfolgt; es kann nicht sein, dass mich jetzt die Asylgesetze in Deutschland daran hindern, mich hier politisch zu engagieren", erklärt Yufanyi. Der Angeklagte hat vor, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen. Bereits 1997 erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass die Residenzpflicht nicht gegen die Grundrechte verstoße. Ganz anders sieht dies die deutsche Vertretung des UNHCR. Sie appellierte bereits mehrmals erfolglos an Behörden und Gerichte, die Residenzpflicht zu überprüfen. Laut UNHCR ist sie mit internationalem Recht, insbesondere mit der Genfer Flüchtlingskonvention, nicht vereinbar. Bei Appellen möchten es Yufanyi und "The Voice" nicht belassen. Sie rufen Asylsuchende zu zivilem Ungehorsam auf: Flüchtlinge sollen sich weigern, nach einer Reiseerlaubnis zu fragen und Bußgeld zu zahlen. "Diese Sondergesetze sind ein Mittel, um uns Flüchtlinge schwach zu machen. Das ist der Nährboden für die rechte Gewalt in Deutschland", sagt Yufanyi. |