junge Welt, 14.10.2000 Von Abschiebung bedroht In Worbis muß sich ein Flüchtling wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht verantworten Wenn Cornelius Yufanyi vom Amtsgericht im thüringischen Worbis verurteilt wird, droht ihm eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Oder die Abschiebung nach Kamerun. Am Donnerstag wurde eine Verhandlung gegen ihn eröffnet. Yufanyi hat sich eines Vergehens schuldig gemacht, das nur in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird - er hat gegen die so genannte Residenzpflicht verstoßen. Die Residenzpflicht ist im Asylverfahrensgesetz festgeschrieben. Die Regelung besagt, daß Flüchtlinge während ihres Asylverfahrens einen bestimmten Aufenthaltsbereich, in der Regel eine Kommune oder ein Landkreis, nicht ohne schriftliche Erlaubnis verlassen dürfen. Yufanyi, der aktives Mitglied der Flüchtlingsinitiativen »The Voice - Africa Forum« und »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen« ist, lebt in einem Asylbewerberwohnheim im Landkreis Eichsfeld. Für Behördenbesuche muß er sich von seinem Taschengeld eine Busfahrkarte kaufen, hin und zurück sind das 25 Mark. Im April beantragte Yufanyi bei der Ausländerbehörde des Kreises die Reiseerlaubnis zu einem Flüchtlingskongreß in Jena. Die wurde ihm verweigert. Begründung: Yufanyi habe das »Kontingent« von einer Genehmigung pro Monat für den Besuch politischer Veranstaltungen bereits ausgeschöpft. Yufanyi fuhr trotzdem nach Jena. Er beteiligte sich auch an der Organisation der Konferenz und gab Journalisten Interviews. Ein entsprechender Zeitungsausschnitt fiel dem Verwaltungsangestellten Manfred S. in die Hände, der Yufanyi zuvor die Reise untersagt hatte. S. schnitt den Artikel aus und schickte ihn an Polizei und Amtsgericht. Von dort erhielt Yufanyi einen Strafbefehl über 600 Mark, die er allerdings nicht zahlte. »Ich werde keine Strafe dafür bezahlen, daß ich mich frei bewegen will«, so Yufanyi gegenüber jW. Rund 70 Menschen kamen am Donnerstag nach Worbis, um an der Verhandlung teilzunehmen. Nur rund 30 fanden im Gerichtssaal Platz. Gleich zu Beginn des Verfahrens beantragten Yufanyis Verteidiger, den Fall an das Bundesverfassungsgericht zu überweisen. Die Residenzpflicht verstoße gegen das Recht auf Freizügigkeit, gegen die Meinungsfreiheit und andere grundgesetzlich verbriefte Rechte. Die Richterin räumte zwar ein, »daß in der momentanen politischen Situation das Gesetz überdenkenswert ist«, den »Wesenscharakter« des Grundgesetzes berühre es aber nicht. Dann betrat Manfred S. den Zeugenstand. Bei der Vernehmung enthüllten Yufanyis Verteidiger, daß S. einen Mitarbeiter mit einem Petz-Brief an das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen beauftragt hatte. Der Landkreis hege den Verdacht, so das während der Verhandlung verlesene Schreiben, »daß Herr Yufanyi seinen Aufenthalt vorwiegend dafür nutzt, um politisch tätig zu werden«. Seine Anwesenheit im Wohnheim beschränke sich auf die Tage der Geldauszahlung, bei Vorsprachen in der Behörde werde Yufanyi »oftmals von einer deutschen Studentin begleitet«. Die Anwälte werteten dies als rassistsich. Der Brief unterstelle, daß Yufanyi nur nach Deutschland gekommen sei, um politischen Unfrieden zu stiften, 80 Mark Taschengeld im Monat abzuzocken und sich mit einheimischen Frauen herumzutreiben. Während Zuschauer mit Sprechchören gegen die »rassistischen Schreibtischtäter« protestierten, vertagte die Richterin die Verhandlung. Einer der Rechtsanwälte erklärte auf einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude: »Normalerweise werden solche Verfahren in einer halben Stunde abgewickelt. Heute hat die Justiz gemerkt, daß sowas in Zukunft nicht mehr so einfach über die Bühne geht«. Unterdessen haben Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet gegen das Verfahren protestiert. »Die Residenzpflicht ist ein Apartheidsgesetz«, so Matthias Lange vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Das in Köln ansässige Komitee für Grundrechte und Demokratie bezeichnete die Regelung als "diskriminierendes Sondergesetz gegen Asylsuchende". Mit der Residenzpflicht sei ein Straftatbestand geschaffen worden, gegen den nur Flüchtlinge verstoßen könnten, erklärte Komitee-Sprecher Professor Wolf-Dieter Narr. Die Regelung sei deshalb »in besonderer Weise dazu geeignet, die politische Brandrede vom >kriminellen Ausländer< polizeistatistisch unterfütternd zu bestätigen«. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat bereits mehrfach erfolglos an deutsche Behörden und Gerichte appelliert, die Residenzpflicht zu überprüfen. Die Regelung ist nach UNHCR-Auffassung mit internationalem Recht unvereinbar. Reimar Paul |