Frankfurter Rundschau, 14.10.2000 Die Last des Erlebten 20 Zentren betreuen traumatisierte Flüchtlinge in Deutschland Von Eckhard Stengel (Bremen) Die Therapeuten bemühen sich in den Behandlungszentren darum, dass traumatisierte Kriegs- und Folteropfer wieder ein seelisches Gleichgewicht finden. Die unsichere Finanzierung und die ständige Angst, dass ihre Patienten abgeschoben werden, behindern ihre Arbeit. In Bremen trafen sie sich kürzlich zu einer Tagung. Kinder müssen mit ansehen, wie ihre Eltern im Bürgerkrieg abgemetzelt werden; Regimegegner werden tagelang von Geheimpolizisten gefoltert; Frauen werden systematisch von Soldaten vergewaltigt: Wer solche schockierenden Übergriffe durchlitten hat, kann oft nur noch mit Hilfe von Psychotherapeuten sein seelisches Gleichgewicht wiederfinden. Die Therapeuten werden dringend gebraucht: Allein im Bremer Zentrum "Refugio", das gerade zehn Jahre alt geworden ist, melden sich jedes Jahr rund 200 neue Kriegs- oder Folteropfer - vor allem aus Bosnien und dem Kosovo, aber auch viele Kurden, Iraner und Westafrikaner. Anderenorts kommen manchmal Opfer von Neonazi-Überfällen. Drei Festangestellte und zwei Aushilfen versuchen in Bremen, "diesen geschundenen Menschen einen Schutzraum für die Seele" zu bieten, wie es in einem "Refugio"-Prospekt heißt. Andere Zentren arbeiten entweder gerade mal mit einer halben Aushilfskraft oder aber mit bis zu 20 Fachleuten: Psychotherapeuten, Ärztinnen, Sozialpädagogen. Dietrich Koch, Leiter der Berliner Beratungsstelle "Xenion" und stellvertretender Vorsitzender des Dachverbands BAFF ("Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer"), umriss am Rande der Bremer Tagung das Leiden der Traumatisierten: Sie werden in Albträumen und Tagesfantasien ständig von ihren Erinnerungen eingeholt, sind labil, fühlen sich schnell verfolgt, wirken generell misstrauisch und ziehen sich von anderen Menschen zurück. In den meisten Fällen, so Psychotherapeut Koch, heilen die seelischen wie auch die körperlichen Wunden von allein. Aber nicht selten wird diese "posttraumatische Belastungsstörung" chronisch. Dann helfen die Behandlungszentren den Geplagten, "wieder heimisch zu werden in der Welt" (Koch). Im Mittelpunkt steht oft eine Psychotherapie, vielfach in Form einer Verhaltenstherapie. In Einzel- oder auch Gruppengesprächen wird nicht nur versucht, das erlebte Grauen zu bewältigen, sondern auch, wieder einen Lebenssinn für die Zukunft zu finden, an alte Stärken anzuknüpfen und sich wieder anderen Menschen zu öffnen. Dabei können auch Beschäftigungsangebote bis hin zum Nähkurs helfen. Und mit Krankengymnastik findet manch Kriegs- und Folteropfer Zugang zu dem "Entsetzen, das ihm in den Knochen steckt", wie die Bremer Psychotherapeutin Ingrid Koop sagte. Den Zentren geht es aber auch darum, Folter und andere Gewalterfahrungen öffentlich zu machen - und sich dafür einzusetzen, dass deutsche Politiker und Behörden etwas sensibler mit den Traumatisierten umgehen. Bisher kommt es nach BAFF-Erfahrungen durchaus vor, dass Misshandlungsopfer ausgerechnet in Handschellen zur Diagnose bei einem der Beratungszentren vorgeführt werden. "Und wir müssen ständig damit rechnen", sagte Koch, "dass Kriegsflüchtlinge noch während unserer Behandlung abgeschoben werden" - ins Land ihrer Peiniger. Besondere Sorgen macht sich der BAFF-Vorstand um Kriegstraumatisierte aus Bosnien-Herzegowina. Koch hat sich dort kürzlich zehn Tage lang mit einer Therapeuten-Delegation umgeschaut und appelliert jetzt an die deutsche Innenministerkonferenz, keine traumatisierten Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken. Schon bisher, so schätzt Koch, leben in der bosnisch-kroatischen Föderation und der serbischen Teil-Republik Srpska 350 000 Menschen, die ihr Kriegstraumata nicht überwunden hätten und eigentlich Hilfe bräuchten. Das Gesundheitssystem sei längst überfordert und könne keine weiteren Rückkehrer mehr verkraften. Sorgen machen sich die Behandlungszentren aber auch um ihre eigene Zukunft. "Wir müssen jedes Jahr wieder neu um unsere Finanzierung kämpfen", berichtete am Rande der Tagung die BAFF-Vorsitzende Elise Bittenbinder (Köln). Nach ihren Worten leben die meisten Zentren von einer Mischfinanzierung: Meist geben Städte, Wohlfahrtsverbände oder Kirchen Zuschüsse, mal fließen Projektfördermittel der EU oder der UN; auch Spenden bis hin zu Gottesdienst-Kollekten werden gerne angenommen. Was jedoch fehlt, ist eine Grundfinanzierung auf Dauer - nicht zuletzt, damit außer den Therapeuten auch Dolmetscher bezahlt werden können. |