Frankfurter Rundschau 14.10.2000 Prozess ohne Frieden Die politischen Eliten beider Seiten im Nahen Osten haben die Rechnung ohne ihr Volk gemacht Von Jochen Siemens Der Tod des in den Armen seines Vaters erschossenen Palästinenserjungen Mohammed Durra hat unter den Bürgern Ägyptens und Jordaniens - die beiden arabischen Staaten, die mit Israel einen Friedensvertrag unterschrieben haben - Reaktionen hervorgerufen, die als Indizien dafür taugen, warum der viel beschworene Friedensprozess von Oslo ohne greifbaren Erfolg geblieben ist. "Nieder mit Israel", schrien Schulkinder in Kairo, und tausende Anwälte demonstrierten unter dem Banner, das ägyptische Volk sei bereit zum Krieg gegen Israel. Selbst in Ägypten und Jordanien, die im arabischen Lager durch den Friedensschluss keine dauernden politischen Nachteile hinnehmen mussten, wohl aber ökonomisch und finanziell realen Nutzen ziehen konnten, genügen offensichtlich die schrecklichen Fernsehbilder vom Tod des Jungen, um zu verdeutlichen, wie dünn der Schorf über den Wunden des Hasses ist. Der Friede im Nahen Osten ist selbst dort, wo er vertraglich gesicherte Wachstumschancen hatte, ein überaus zartes und mit einem Tritt zu zerstörendes Pflänzchen geblieben. In Israel, der Westbank, dem Gaza-Streifen ist er eine wurzellose Illusion, gar nicht zu sprechen von Nachbarländern wie Syrien oder Libanon. Dies ist die ernüchternde Bilanz nach einem knappen Jahrzehnt von Friedensplänen und Friedensverhandlungen, die selbst nur zu Stande kamen, weil der Golf-Krieg die PLO-Führung ohne jede politische Unterstützung zurückließ und in Israel aus sicherheitspolitischen wie wirtschaftlichen Gründen in den Eliten die Einsicht Platz griff, das grundsätzliche Problem der Koexistenz mit den Palästinensern anzugehen. Dieser Antagonismus - zwei Völker beanspruchen dasselbe Territorium - ist in der Weltgeschichte in der Regel dadurch aufgelöst worden, dass eines der beiden Völker ausgerottet wurde oder, wie die Aborigines oder Nordamerikas Ureinwohner, ein Dasein an den Rändern neuer Gesellschaften fristet. Da war es schon Friedensnobelpreise wert, einen intellektuell bestechenden, den Ausgleich der Völker in Aussicht stellenden Plan zu entwerfen, wie zwei Staaten auf einem Territorium die Existenz von Palästinensern und Israelis ermöglichen sollten. Allein, um es volkstümlich zu sagen, die politischen Eliten beider Seiten haben die Rechnung ohne ihr Volk gemacht. Der blanke Hass, der der Weltöffentlichkeit in den vergangenen zwei Wochen via Fernsehbildern entgegenschlug, lässt jede Illusion schwinden, der Plan der Koexistenz in zwei Staaten hätte Rückhalt in der israelischen wie palästinensischen Bevölkerung gefunden. Ganz im Gegenteil, das politische Instrument der Verhandlung ist diskreditiert. Im Kern wohl deshalb, weil beide Seiten, während sie miteinander verhandelten, nicht davon abließen, das Ziel des eigenen Sieges weiterzuverfolgen. Das gilt für den Bau israelischer Siedlungen in der Westbank ebenso wie für die politische Instrumentalisierung des generationenalten Flüchtlingselends auf palästinensischer Seite. Wo sind denn die Milliarden von internationalen Hilfsgeldern versickert, die das Los der Palästinenser erleichtern sollten? Und waren die israelischen Maßnahmen gegen unerlaubte Siedlungen jemals mehr als Alibihandlungen? Zweimal - 1995 und in diesem Sommer - machten die israelischen Regierungen von Yitzak Rabin und Ehud Barak den Schritt über die eigenen Interessen hinaus auf die andere Seite zu. Und in beiden Fällen kollabierte der Verhandlungsprozess. Und zwar keineswegs nur deshalb, weil die andere Seite das Angebotene als zu gering erachtete, sondern ebenso, weil im eigenen Land der Kompromiss als Niederlage gilt. In Israel, wo mit erheblicher demokratischer Offenheit um die Positionen gerungen wird, ist es dabei viel einfacher auf die Übeltäter zu verweisen als in der geschlossenen Clan- und Cliquenwelt palästinensischer Führungsstrukturen. Im Nahen Osten, wo gesellschaftliche, religiöse und durch das Erdöl symbolisierte ökonomische Interessen aufeinanderprallen, wäre es nur um den Preis eines Flächenbrandes möglich, eines der beiden Völker zu vertreiben, die miteinander leben müssen. Diese Erkenntnis in beiden Völkern zu verankern, hat der Oslo-Friedensprozess nicht geleistet. Er hat sich verbraucht in findigen Lösungen territorialer Flickschusterei und gleichzeitig genährten Hoffnungen, irgendwie könne man doch noch alles bekommen. Dieser so genannnte Friedensprozess hat dabei den Vermittler USA verbraucht. Es wird der nächsten amerikanischen Regierung schwer fallen, neu anzusetzen und vor allem von palästinensischer Seite als neutraler Makler anerkannt zu werden. Der Oslo-Prozess hat Bausteine zurückgelassen, die in der Zukunft passen können. Zunächst einmal hat er aber mit der ihm letztlich innewohnenden Unaufrichtigkeit mehr zerstört als bewirkt. In Israel hat das Zusammenleben von jüdischen und arabischen Bürgern Schaden genommen. Dieses als Modell wichtige Beispiel des Miteinander gehört ebenso zu den Opfern der jüngsten Gewaltausbrüche, wie es die Politik insgesamt ist. Dies ist umso fataler, als es auch weiter keine Alternative zu der Koexistenz der beiden Völker auf einem Territorium gibt.
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