Freitag, 13.10.2000 Rolf Gössner Unstreitbar NPD-VERBOT Den starken Staat markieren heißt vor allem, die Schwächen der Demokratie zu verbergen Die Macht des Faktischen entzieht einer grundsätzlichen Debatte einmal wieder den Boden. »Das Material ist sehr schwerwiegend«, sagte Otto Schily, als er Anfang der Woche mit den Kollegen aus Bayern und Sachsen-Anhalt die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorstellte, welche die Erfolgsaussichten eines NPD-Verbots prüfen sollte. Es ging um die Frage, ob das von den Verfassungsschutzbehörden gesammelte Material für den Nachweis nach Artikel 21 Grundgesetz ausreicht, die NPD gehe darauf aus, »die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden«. Über diese Frage muss aber, da Parteien gegenüber sonstigen Organisationen verfassungsrechtlich erhöhten Schutz genießen, das Verfassungsgericht entscheiden. Schilys Koalitionspartner, die Grünen, standen einem Parteiverbot bisher eher skeptisch gegenüber. Jetzt geraten sie unter Druck, dem Verbotsantrag in Parlament und Regierung mit zuzustimmen. Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet ein NPD-Verbot, die parteipolitische Landschaft ist gespalten. - Der Riss geht durch alle Parteien, besonders aber durch die grüne. So spricht sich etwa Umweltminister Jürgen Trittin für ein Verbot aus, die Parteivorsitzende Renate Künast und der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Cem Özdemir, warnen dagegen vor einer »Konzentration auf die Verbotsdebatte«: »Uns erfüllt die Sorge, dass damit unrealistische Erwartungen verknüpft werden. Es darf nicht nur zu einer vorübergehenden Entsorgung des Problems kommen.« Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, wird allerdings von vielen Liberalen und linken Antifaschistischen, die ansonsten staatlicher Repression misstrauen, eher vernachlässigt. Zwar ist seit dem Verbot der KPD (1956) und seinen schädlichen Auswirkungen auf die politische Kultur in der frühen Bundesrepublik die Skepsis gegen diese Art von politischer Verdrängung gewachsen. Doch seit dem Anwachsen rechtsgerichteter Organisationen und der Eskalation fremdenfeindlicher Gewalt scheint diese Skepsis dem neuen Glauben an alte Rezepte der so genannten streitbaren Demokratie gewichen zu sein. Die hektischen Forderungen nach Organisations- und Parteiverboten deuten jedenfalls darauf hin. In der (links-)liberalen juristischen Literatur wird das Parteiverbot indessen nicht zu Unrecht als »Fremdkörper« im System einer freiheitlichen Demokratie bezeichnet oder gar als »Konstrukt antiliberalen und antidemokratischen Denkens« (Helmut Ridder). »Die Beurteilung von Wert oder Unwert politischer Parteien«, so der liberale Grundgesetz-Kommentator Ingo von Münch, »sollte der politischen Entscheidung des Wählers überlassen werden, nicht der juristischen Entscheidung eines Gerichts«. Und der Hamburger Verfassungsrechtler Horst Meier sieht im Parteiverbot eine »einzigartige Schöpfung westdeutschen Verfassungsgeistes, in der Kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingegangen sind«. Solchen »innerstaatlichen Feinderklärungen« habe niemals eine wirkliche Gefahr für die Demokratie zu Grunde gelegen, sondern die »so gereizte wie kleinmütige Ausgrenzungsbereitschaft der deutschen Mehrheitsdemokraten«. Mit einem Verbot würde zwar die Neonazi-Szene kurzzeitig verunsichert und der NPD die staatliche Finanzierung entzogen, doch ihr unseliger Geist würde fortwirken, da die Gesinnung ihrer Anhänger nun mal nicht verboten werden kann. Ein Parteiverbot wirft deshalb mehr Probleme auf, als es zu lösen imstande ist: Es kann die fatale Wirkung zeitigen, dass die anvisierten Kräfte, die schließlich nicht vom Erdboden verschwinden, in anderen Organisationen oder im Untergrund weiter agieren und auf diese Weise wesentlich schlechter öffentlich kontrolliert und bekämpft werden können. Die führenden Köpfe der NPD und etliche ihrer etwa 6000 Mitglieder würden mit ziemlicher Sicherheit in andere rechte Organisationen, die nicht verboten sind, übertreten und dort ihr Unwesen weitertreiben. Die NPD in ihrer heutigen Funktion als rechtsmilitantes Sammelbecken ist ja makabrerweise selbst das Resultat von früheren Organisationsverboten. Sie hat das Personal jener verbotenen Organisationen weitgehend aufgefangen. So betrachtet, ist die NPD heutiger Prägung letztlich auch das Resultat staatlicher Repression. Eine starke antifaschistische, soziale und demokratisch legitimierte Politik, die auch die sozioökonomischen Ursachen und Bedingungen für Neonazismus, Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt mit einbezieht, dürfte eher in der Lage sein, das Gefahrenpotenzial zu verringern, als eine rigide und ausgrenzende Verbotspolitik. Auch im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus führt die Fixierung auf staatliche Institutionen und Maßnahmen oft in die Irre. Die Delegation dieses gesellschaftlichen Problems an den Staat verhindert womöglich nicht nur eine radikale Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und eine engagierte Gegenwehr durch die Bürger selbst; damit wird auch eine Sicherheitskonzeption befördert, die der Bevölkerung vorgaukelt, verhängnisvolle politische Entwicklungen könnten per Verbotsdekret eliminiert werden. Das dürfte jedoch schon deshalb unmöglich sein, weil Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik kein Problem der gesellschaftlichen Ränder ist, sondern ein Problem, das weit in die Mitte der Gesellschaft reicht. Es könnte also sein, dass ein NPD-Verbot letztlich nur einen starken Staat demonstriert, hinter dem sich eine ziemlich schwache Demokratie verbirgt ... Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, parlamentarischer Berater u. a. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag. Soeben erschienen: Big Brother & Co. Der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft. 200 S., Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2000, DM 32,-
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