Neue Zürcher Zeitung (CH), 16.10.2000
Nahost-Treffen der letzten Chance in Sharm ash-Sheikh
Hoffnungen auf ein Ende des Blutvergiessens in den Palästinensergebieten
Auf Einladung des ägyptischen Präsidenten Mubarak sollen der
Palästinenserführer Arafat und Israels Regierungschef Barak
sich im Beisein Präsident Clintons und des Uno-Generalsekretärs
am Montag in Sharm ash-Sheikh treffen. Bedingungen stellten sie keine.
Ziele des Treffens sind ein Ende der blutigen Konfrontation, der Beginn
einer Untersuchung der Vorfälle und eine Fortsetzung der Nahostverhandlungen.
vk. Limassol, 15. Oktober
Uno-Generalsekretär Annan hat am Samstag verkündet, dass sowohl
der israelische Ministerpräsident Barak als auch der PalästinenserführerArafat
sich ohne Bedingungen zu einem erweiterten Gipfeltreffen bereit erklärt
haben. Einige Stunden später sagte auch Präsident Clinton seine
Teilnahme zu, warnte aber vor hohen Erwartungen. Um den beiden Gegnern
der Konfrontationein direktes Treffen der letzten Chance zu ermöglichen,
sollen sich also die Präsidenten Amerikas und Ägyptens, der
Leiter der Weltorganisation sowie möglicherweise Vertreter der Europäischen
Union und anderer Staaten mit an den Tisch setzen. Die erste Sorge dieser
internationalen Gäste ist zweifellos die Beendigung des Blutvergiessens
zwischen Israeli und Palästinensern, weil der wachsende Volkszorn
in arabischen Ländern und der vermutlich erfolgte Bombenanschlag
auf ein amerikanisches Kriegsschiff in Aden deutlich das Risiko verbreiteter
Gewaltakte illustrieren. Doch sogar ein Lippenbekenntnis Arafats und Baraks
in dem Sinn dürfte seinen Preis haben.
Hamas-Militante zurück im Gefängnis
Die Hitze der Intifada hat seit den massiven Militärschlägen
vom Donnerstag gegen Arafats Sicherheitskräfte sichtlich nachgelassen,
und die Zahl der Opfer war über das Wochenende gering. Die palästinensische
Polizei hat sogar erreicht, dass 14 islamische Aktivisten in Nablus sich
freiwillig wieder ins Gefängnis begaben, aus dem siewährend
der israelischen Bombardements entwichen waren. Es handelt sich nach Angabeneines
Hamas-Sprechers um 8 Militante der Kassam-Brigaden und 6 Kämpfer
des Islamischen Jihad. Wie weit aber der Einfluss der durch die Zerstörungen
geschwächten Ordnungskräfte auf aufgebrachte Massen und Scharfmacher
reicht, ist abzuwarten.
Dem PLO-Chef Arafat muss ein formeller Gewaltverzicht am Gipfel mindestens
so schwer fallen wie Barak. Nicht nur die palästinensische Opposition
kritisiert nur schon seine Teilnahme an dem Treffen. Auch der irakische
Staatschef Saddam Hussein und der libysche Revolutionsführer Ghadhafi
verwarfen den Gipfel als eine Machenschaft, um die Intifada abzuwürgen.
Es zeichnet sich die verbreitete Auffassung ab, dass der Ausbruch und
die Weiterführung des Aksa- Aufstands geradezu eine Garantie für
die Lösung des Palästinakonflikts im Sinne der Araber sei, mithin
für einen Palästinenserstaat mit voller Souveränität
und auf sämtlichen 1967 besetzten Gebieten. Demgegenüber ist
jede diplomatische Initiative mit dem Schatten des Osloer Prozesses behaftet,
der recht klar auf eine von Israel diktierte Regelung hinsteuert, das
heisst die Annexion Ostjerusalems und ausgreifender jüdischer Siedlungsblöcke
im Westjordanland, daneben lediglich eine mit Hoheitszeichen dekorierte
Palästinenserautonomie. Weiter erachten die Araber die rund hundert
Intifada-Märtyrer als einUnterpfand, das rasch in politische Rechte
umgesetzt werden muss und nicht einfach zu übergehen ist.
Neuer Anlauf der Internationalisierung
Arafat erkennt jedoch, dass selbst diese hypothetischen Errungenschaften
für ihre politische Ummünzung eines diplomatischen Instruments
bedürften. Die Teilnahme an Gipfeltreffen gehört dazu. Um dem
Druck der Grossen ein Stück nachgeben zu können, hat der Rais
ein Etappenziel gesteckt: die Einführung einer internationalen Untersuchungskommission.
Darunter versteht er nicht nur eine Diagnose der israelischen Repressionsmaschinerie,
wie sie in den letzten zwei Wochen arbeitete, sondern auch die Einführung
internationaler Puffer, damit Israeli und Palästinenser gar nicht
mehr aufeinander prallen können. Barak hat umgekehrt in den hitzigen
Stunden nach dem Lynchmord in Ramallah deutlichgemacht, dass er die Anwendung
geballter militärischer Gewalt gegen die Palästinenser als unabdingbare
Überlebensversicherung des Judenstaats versteht, weil damit dessen
Überlegenheit über alle Nachbarn zum Ausdruck kommt. Jedes Stillhalteabkommen
in Sharm ash-Sheikh müsste deshalb diese schwer zu vereinbarenden
Anforderungen erfüllen.
Demonstrationen in Cisjordanien
Ramallah, 15. Okt. (afp) Mehrere hundert Palästinenser haben am Sonntag
im Westjordanland gegen das geplante Nahost-Gipfeltreffen in Ägypten
demonstriert. In Ramallah forderten etwa 500 Palästinenser nach Berichten
von Augenzeugen Arafat in Sprechchören auf, nicht an dem Treffen
teilzunehmen. Dabei sei es zu Zusammenstössen mit israelischen Sicherheitskräften
gekommen, bei denen drei Personen durch Schüsse verletzt wurden,
unter ihnen auch ein Reporter. Auch in Bethlehem demonstrierten Hunderte.
In Hussan östlich von Bethlehem zerstörten wütende Demonstranten
den Stromgenerator einer jüdischen Siedlung.
|