DER STANDARD (A), 16. Oktober 2000, Für Saudis ist der Irak "ein Feind" - aber Israel "der Feind" Gudrun Harrer Bagdad/Riad/Wien - Eine reichlich skurrile Flugzeugentführung endete am Sonntag mit der Reise der 104 Gekidnappten an ihren urspünglichen Bestimmungsort London. Die Entführer blieben in Bagdad zurück, wohin sie die saudi-arabische Passagiermaschine am Samstag von Jeddah aus dirigiert hatten. Bei einer Pressekonferenz nannten sie "Menschenrechtsverletzungen" in Saudi-Arabien und die Präsenz von US-Truppen in ihrem Land als Motive für ihre Tat. Aus einer westlichen Perspektive völlig unverständlich - suchten die Kidnapper doch angeblich sogar um politisches Asyl an -, so ist die Episode fast symptomatisch für die Gefühle in der arabischen Welt: Mit dem Ende der Hoffnungen auf einen Frieden, der nur durch die Rückgabe der islamischen Stätten in Jerusalem "gerecht und umfassend" sein hätte können, sind einmal mehr jene arabischen Regierungen diskreditiert, die gute Beziehungen zu den vermittelnden westlichen Ländern, allen voran die USA, unterhalten. Eine von ihnen ist das saudi-arabische Königshaus. Dort versucht - der traditionell US-skeptische Panarabist - Kronprinz Abdullah etwas gegenzusteuern, indem er "entscheidende Maßnahmen" gegen Israel ankündigt - was dem Partner USA gar nicht gefallen dürfte. Haben die letzten Jahre den Islamismus und den arabischen Nationalismus - dessen Held nach wie vor Saddam Hussein ist - mit dem Fortschreiten des Friedensprozesses eher in der Defensive gesehen, so hat sich das nun schlagartig geändert. In Wahrheit ist jedoch "das Volk" etwa in Ägypten, aber auch in Saudi-Arabien seinen US-freundlichen Regierungen wohl nie wirklich gefolgt, und das zeigt sich am deutlichsten in der Irak-Frage. Eine Geschichte, die Rick Francona, ein US-Geheimdienstoffizier, in seinem Irak-Buch "Ally to Adversary" (vom Verbündeten zum Feind) aus der Zeit des Golfkriegs erzählt, sagt alles: Die ersten irakischen Raketenangriffe auf Israel erlebte er in einer amerikanisch-saudischen Kommunikationszentrale in Riad. Als die Scuds in Tel Aviv einschlugen, sprangen "so gut wie alle" Saudis (Militärs, die an der Seite der USA gegen den Irak kämpften!) jubelnd auf und riefen Allahu akbar, Gott ist groß. Dem völlig konsternierten Francona wurde später erklärt, Irak sei "ein Feind", aber Israel eben "der Feind". Der Irak empfing übrigens am Wochenende nicht nur die Maschine aus Saudi-Arabien, sondern auch den iranischen Außenminister Kamal Kharrazi, den bisher ranghöchsten Besucher aus dem Nachbarland, das der Irak 1980 unter dem Beifall der westlichen Welt überfallen hatte. Nicht nur das Aneinanderrücken der beiden "Problemstaaten" ("Schurkenstaaten" gibt es in der US-außenpolitischen Terminologie ja nicht mehr) wird Washington stören, mindestens so bedrohlich ist der Auftrieb, den die radikalen Kräfte im Iran jetzt nehmen werden. Eine Distanzierung des Iran von der libanesischen Hisbollah, auf die der Westen immer hoffte, wäre heute für die iranische Regierung unter Mohammed Khatami politischer Selbstmord.
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