taz 16.10.2000 Frau und Koran: Denn Gott ist gerecht Viele muslimische Frauen auch in Deutschland fühlen sich durch die männlichen Koraninterpretationen abgewertet. Den Koran aus weiblicher Sicht und konkrete Hilfestellung für muslimische Frauen vermitteln beispielsweise das Huda-Netzwerk und das Zentrum für islamische Frauenforschung von MONA NAGGAR Das Zentrum für islamische Frauenforschung (ZIF) hat zu einem Vortrag eingeladen. Thema ist: Gewalt gegen Frauen aus islamischer und christlicher Sicht. Zehn Frauen und zwei Männer sitzen im Kreis und diskutieren über die gerade gehörten Referate. Schnell wird klar, dass dieses Phänomen länder- und religionsübergreifend ist. Die anwesenden muslimischen Frauen sind empört, dass sich Muslime immer noch auf den Koran stützen können, wenn sie ihre Frauen schlagen. In Korankommentaren aus verschiedenen Jahrhunderten wird zwar den Männern nahe gelegt, mit den Frauen nachsichtig zu sein, aber das Recht auf Züchtigung bleibt bestehen. Nachzulesen in Sure 4 Vers 34. Als Fatma Sagir diesen Vers zum ersten Mal las, hat sie ihn nicht verstanden. Nach ihrer Meinung widersprach er anderen Koranstellen, die die Gerechtigkeit Gottes betonen. Die gläubige Muslimin und Studentin der Islamwissenschaften an der Universität Bonn fand im ZIF Gleichgesinnte. Seit einigen Jahren steht das Zentrum jungen muslimischen Frauen mit Rat zur Seite. Rabia Müller, Leiterin des Zentrums, hat immer wieder festgestellt, dass die herkömmliche Interpretation des Koran junge Musliminnen in Deutschland in große Konflikte stürzt: "Zum Beispiel wird ihnen ein Gottesbild vermittelt, das die Männer bevorzugt und die Frauen benachteiligt. Und das können sie mit ihrem Bild einer gerechten Gottheit nicht vereinbaren. Die Mädchen sagen: Ich kann doch nicht zu jemandem beten, der mich minderwertig hält." In Beratungsgesprächen versucht Rabia den Mädchen und Frauen einen selbstständigen Umgang mit dem Text des Koran näher zu bringen. Und eine kritische Haltung gegenüber Aussagen zu entwickeln, die in hiesigen Moscheen und im Familienkreis über Frauen im Islam verbreitet werden. Zum Beispiel wird nach wie vor mit großer Selbstverständlichkeit gepredigt, dass das Wesen der Frau von Natur aus krumm sei, weil sie aus der Rippe von Adam erschaffen worden sein soll. Ein weiteres Beispiel ist der unbedingte Gehorsam, zu dem muslimische Frauen ihren Ehemännern gegenüber verpflichtet sind. Die Erkenntnisse, zu denen Rabia und ihre Mitstreiterinnen gekommen sind, müssen erst erarbeitet werden. In einem Studienkreis, der regelmäßig im ZIF abgehalten wird, betreibt man, wie Rabia Müller es nennt, feministische Theologie. Koranverse, mit denen man die Benachteiligung von Frauen über Jahrhunderte legitimiert hat, werden unter die Lupe genommen. Zum Beispiel bei der Erbschaftsregelung. In einem Koranvers wird festgelegt, dass der Sohn den doppelten Anteil einer Tochter erbt. Dies wird von vielen gläubigen Muslimen heute kaum in Frage gestellt. Der Studienkreis beim ZIF gibt sich damit nicht zufrieden: "Wir müssen überlegen, dass vor der Herabsendung des Koran Frauen überhaupt nicht erben durften. Sie waren Erbmasse, Objekt statt Subjekt. Der Koran gab Frauen erstmals das historische Recht, überhaupt zu erben. Das Wesentliche für uns ist, dass sie von einer nichterbberechtigten Person zu einer erbberechtigten Person wurde. Wir können diesen Schritt, diese Entwicklung weiterdrehen, indem wir sagen: Heute sind die Probleme nicht mehr, wie sie damals waren, und heute muss die Frau gleichberechtigt erbberechtigt sein", erläutert Rabia Müller. Unter der Internetadresse des Netzwerks für muslimische Frauen, Huda, wird praktische Hilfe angeboten. Zum Beispiel beim Thema Genitalverstümmelung. Diese vorislamische Praxis wird verurteilt. Oder es besteht die Möglichkeit, einen Muster-Ehevertrag herunterzuladen. Darin werden die Frauen mit ihren Rechten bekannt gemacht, etwa was bei einer Scheidung zu tun ist oder wie es mit dem Sorgerecht um die Kinder steht. Karima Körting, erste Vorsitzende des Vereins, sind die Probleme muslimischer Frauen in Deutschland bekannt. "Es sind in erster Linie Eheprobleme. Entweder hat der Mann eine zweite Frau genommen oder die Frau entdeckt erst später, dass er eine zweite hat. Wie es um die Kinder steht oder um die Behandlung des Mannes der Frau gegenüber, dass die Frau damit unzufrieden ist." Huda hat schon viele wütende Briefe von Männern bekommen, die die Frauen beschuldigen, das Wort Gottes nach ihrem Gutdünken zu interpretieren. Zum Beispiel, als sie Gewalt gegen Frauen zum Thema machten. Auch haben schon einige Leserinnen aus Protest gegen die Linie der Zeitschrift das Abonnement gekündigt. Karima Körting hat teilweise Verständnis für diese Reaktionen. Denn Muslime, Männer und Frauen, müssten ihre Traditionen und Wurzeln hinterfragen, wenn sie den konservativen Umgang mit muslimischen Frauen anzweifeln. So plädiert sie denn auch für "Zartgefühl" bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Auch die Theologin Halima Krausen gibt in ihrem Studienkreis in Hamburg zwar ihre Methodik an Schülerinnen weiter, aber auf keinen Fall will sie die Konfrontation mit den islamischen Gemeinden riskieren: "Mir liegt erstens daran, dass Frauen ermutigt werden, ihre eigen Meinung zu bilden und zu äußern. Zweitens, dass die Diskussion in Gang kommt und somit Denkprozesse angestoßen werden, deren Verwirklichung vielleicht eine Generation oder zwei Generationen später möglich werden." Das Gleiche gilt für die Frauen vom ZIF. Sie haben Angst, dass sie von den Moscheegemeinden in Köln als radikal feministisch und unglaubwürdig gebrandmarkt werden. Damit würden sie ihrer Einflussmöglichkeiten auf die weibliche Klientel der Moscheen beraubt sein. Einige Frauen haben auch Angst, von ihren Familien oder aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden, wenn sie offen sagen, was sie denken. Es kann sogar passieren, dass sie für ungläubig erklärt werden. Es wäre übertrieben, von einer islamischen Frauenbewegung in Deutschland zu sprechen. Aber die Unzufriedenheit unter muslimischen Frauen mit der herkömmlichen männlichen Interpretation der religiösen Texte ist auch hierzulande unüberhörbar. Und einige greifen zur Selbsthilfe. Nach Einflüssen befragt, geben die Frauen vom ZIF oder von Huda muslimische Theologinnen und Frauenrechtlerinnen aus Südafrika oder Malaysia an. Für sie wird in diesen Ländern offenbar eine Umgangweise mit dem Islam gepflegt, die Musliminnen in Deutschland mehr zusagt als das, was in den so genannten islamischen Kernländern vor sich geht. Ägypten oder die Türkei sind für viele muslimische Frauen kein Vorbild mehr. Adressen: Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF), Tel. (02 21)3 68 64 67, E-Mail: a2662647@smail.rrz.uni-koeln.de Huda - Netzwerk für muslimische Frauen e.V., Fax: (02 28)3 86 92 79, E-Mail: Hudanetzwerk@t-online.de, Internet: www.HUDA.de
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