Salzburger Nachrichten, 17.10.2000
Ankara: Aktionsplan gegen die USA
Die geplante US-Resolution zum Völkermord an den Armeniern gefährdet
eine alte Freundschaft
BIRGIT CERHA
ANKARA (SN).
In diplomatischen Kreisen werden die amerikanisch türkischen Beziehungen
gerne mit einer Ehe verglichen: Unauflöslich. Gemeinsame strategische
Interessen im Mittleren Osten, der Kampf gegen den radikalen Islam, die
Freundschaft mit Israel bindet beide Mächte aneinander. Mit der Supermacht
im Rücken hoffen die Türken, den Mittleren Orient eines Tages
zu dominieren.
Zudem sind die Amerikaner - aus ureigensten Interessen freilich - vielleicht
heute der Türken einziger wirklicher Freund im Westen.
All dies könnte Ankara nun aufs Spiel setzen, wenn das US-Repräsentantenhaus
eine Resolution verabschiedet: Es soll festgehalten werden, dass das Osmanische
Reich zwischen 1915 und 1923 rund 1,5 Millionen Armenier in einem Genozid
getötet hat.
Kaum ein Thema, nicht einmal die explosive Frage nationaler Rechte der
Kurden, vermag die Türken bis heute so in Aufruhr zu versetzen wie
dieser Völkermord. Bis heute will das offizielle Ankara derartige
Verbrechen nicht wahrhaben. Die Türkei sieht in einer Armenien-Resolution
eine schwere Beleidigung und eine "Geschichtsfälschung".
Nicht zuletzt fürchten die Türken wohl auch Wiedergutmachungsansprüche
der Armenier, deren Lobby nun im US-Präsidentschaftswahlkampf ihren
Einfluss geltend macht.
Zudem könnte der Genozidvorwurf weite Kreise ziehen. Bereits 1998
hatte sich das französische Parlament mit einer ähnlichen Resolution
befasst, die schließlich nach türkischen Drohungen gegen französische
Wirtschaftsinteressen fallen gelassen wurde. Dem Europaparlament liegen
nun vier Anträge vor, den Vorwurf des Genozids in einen Türkei-Bericht
einzuschließen.
Die Oppositionspolitikerin Tansu Ciller versteigt sich gar zu dem Verlangen,
mehr als 30.000 Armenier, die in der Türkei leben, sofort des Landes
zu verweisen.
Premierminister Ecevit kündigte indessen einen Aktionsplan an: Als
ersten Schritt stoppten die Türken Touristenvisa für Armenien
und drohten mit verschärften Sanktionen gegen den bitterarmen kleinen
Nachbarn.
Die Aktion des amerikanischen Repräsentantenhauses beschleunigte
aber vor allem die Annäherung der Türken an den Irak. Zu Washingtons
Erbitterung entsandte Ankara bereits demonstrativ zwei Hilfsflugzeuge
nach Bagdad und schloss sich der Welle der Sanktionsproteste an. Auch
ein türkischer Botschafter soll wieder nach Bagdad kommen.
Ecevit stellte ebenfalls klar, dass das Parlament die im Dezember auslaufende
Genehmigung für die Benutzung des Luftwaffenstützpunktes von
Incirlik nicht erneuern will. Die USA verlören damit einen entscheidenden
Stützpunkt gegen den Irak.
Darüber hinaus wird betont, dass man die 37 Energieprojekte, die
für einen Gesamtwert von elf Mrd. Dollar an US-Firmen vergeben worden
waren, stornieren werde. Ebenso erginge es noch umfangreicheren Rüstungsverträgen.
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