taz Bremen 17.10.2000 Jahrelanges Spießrutenlaufen Dokumentation: Psychologie im Ausländeramt Die Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck sagt zum Umgang mit bosnischen Flüchtlingen: "Wir Deutschen denken, was wir machen sei toll." Das entspreche nicht der Wirklichkeit, mindere aber die Bereitschaft für die Hilfe, auf die traumatisierte Flüchtlinge angewiesen sind. Die hat das Erlebte oft chronisch krank gemacht. Angstzustände, Depressionen und Selbstmordgedanken gehören zum "posttraumatischen Belastungssyndrom". Doch während Psychologen den Kranken attestieren, dass Rückehr ins Herkunftsland den völligen Zusammenbruch riskiere, stoßen Atteste im Ausländeramt auf weniger Verständnis - wie die folgenden Texte zeigen. Sie gehören zu einer Ausländerakte, die Gesundheitsamts-Chef Dr. Jochen Zenker jetzt Fachleuten vorstellte. Ein Fall unter vielen, bei denen die "untere Behördenebene" sich Kompetenzen anmaße, die für Betroffene ohne jedes Bleiberecht nur Tortur bedeute. Für den hier dargestellten Fall lehnen die Gutachter des Bremer Gesundheitsamtes jede Rückkehr ab. ede Persönliche Erklärung "Ich bin eine traumatisierte Frau" Ich heiße XXX*, ich bin Bürgerkriegsflüchtling aus V. in Ost-Bosnien. Ich bin eine traumatisierte Frau. Obwohl in meiner Stadt überwiegend Muslime gelebt haben, wurde V. 1992 von Serben okkupiert. Wir durften unsere Häuser und Wohnungen nicht verlassen. Jeden Tag sind serbische Soldaten gekommen und haben uns miss-handelt, terrorisiert und alles mitgenommen, was sie haben wollten. Am 10. Juni 1992 mussten wir die Häuser verlassen und wurden in einer Schule zusammengetrieben. Das war ein Lager für Muslime. Dort bin ich vom 10. bis 12. Juni gewesen. Ich bin psychisch und körperlich schwer misshandelt und mehrfach vergewaltigt worden. Ich bin in keiner Weise ärztlich versorgt worden und mir ist nicht bekannt, ob es einen Lagerarzt gab. Der Leiter dieses Lagers war Milan Lukic, er ist als Kriegsverbrecher in Den Haag bekannt. Am 21. Juni sollten die Frauen und Kinder aus dem Lager auf muslimisches Territorium entlassen werden. Die Busse, in denen wir gefahren sind, waren serbische Busse und darum wurden wir von muslimischen Soldaten beschossen. Die Busse sind umgekehrt und haben uns in das Lager Sokolac gebracht. Die serbischen Soldaten waren wütend auf die muslimischen Soldaten, diese Wut haben sie an uns ausgelassen. Ich wurde schwer misshandelt, ich wurde nicht ärztlich versorgt und bekam nichts zu Essen. Die serbischen Soldaten haben darüber gesprochen, uns zu erschießen. Ich hatte Todesangst. Im Lager Sokolac war ich vom 21. bis 27. Juni 1992. Der Leiter dieses Lagers war Rajko Kusic. Am 27. Juni mussten wir wieder in die Busse steigen. Wir wurden wieder von muslimischen Soldaten beschossen und es kamen serbische Soldaten, die auch geschossen haben. Wir Frauen und Kinder waren im Zentrum des Gefechts. Es gab viele Tote unter den Häftlingen (...). *Der Name der Betroffenen ist anonymisiert. Ein solcher Bericht gilt oft als Beleg vom erlittenen Schicksal. Ihn zu schreiben, ist für viele Betroffene eine Zumutung, deren Ausmaß nach Psychologenmeinung in Deutschland vielfach noch nicht verstanden wird. Im Ausländeramt hat das Schreiben keine Wirkung: Eine Sachbearbeiterin vermerkt in einer Aktennotiz: Laut XXX sind die 9 Personen, bei denen das Rote Kreuz eine Internierung nicht bestätigen kann, nicht als Internierte nach Erlasslage anzuerkennen. Verfügung erstellen! Wie das Attest im Ausländeramt anfänglich aufgenommen wird: Eine Sachbearbeiterin macht auf dem Gutachten eines niedergelassenen Internisten handschriftliche Notizen: - Unkenntnis der deutschen Sprache, - Psychotherapie lebenslang notwendig. Als erste Überlegungen notiert sie: Behandlung ist auch in Bosnien und Herzegowina möglich. Somit besser geholfen, wenn Therapie in der Heimatsprache erfolgt. |