Frankfurter Rundschau, 19.10.2000 Spuren von Tortur - weltweit Amnesty International: In 153 Ländern wird gefoltert Von Jörg Schindler (Berlin) 1984 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Anti-Folter-Konvention. Ein ehrenwertes Papier - aber enorm geduldig: Bis heute werden weltweit Staaten Menschen geschlagen, vergewaltigt, gequält. Und die Torturen nachzuweisen, wird immer schwieriger. Grund genug für Amnesty International (AI), die dritte weltweite Anti-Folter-Kampagne zu starten. Amputation von Gliedmaßen, Einbrennen von Brandzeichen, Elektroschocks, Vergewaltigungen, Peitschenhiebe, Scheinhinrichtungen: Folter gehört in Militärdiktaturen, aber auch in demokratischen Staaten nach wie vor "zur Tagesordnung". 153 Länder hat Amnesty in den vergangenen drei Jahren gezählt, in denen Folterknechte - überwiegend Polizisten und andere staatliche Handlanger - quälten; in mehr als 80 Ländern gab es Menschen, die die Tortur nicht überlebten. "Die Regierungen haben weitgehend versagt", folgerte die deutsche AI-Generalsekretärin Barbara Lochbihler am Mittwoch in Berlin. Nun sei es an der Zeit, "die Öffentlichkeit gegen Folter zu mobilisieren": Mit einem Plakat, auf dem schlicht eine Narbe abgebildet ist, und mit prominenten Botschaftern wie Meret Becker und Johannes Mario Simmel will Amnesty bis Ende 2001 ein Thema ins Bewusstsein rücken, mit dem sich, so Lochbihler, "keiner gerne beschäftigt". Dabei wäre das durchaus ratsam: Denn nach Angaben von AI-Sprecherin Eva Neumann hat sich die Zahl der weltweiten Folterungen zwar nur marginal erhöht - dennoch sei eine "neue Qualität" zu beobachten: Waren es früher vor allem Regimegegner und politische Gefangene, die Folter zu erleiden hatten, sind es nun zunehmend Angehörige diskriminierter Gruppen. So werde nicht nur in Ost- und Südafrika, sondern auch in Rumänien regelrecht Jagd auf Homosexuelle gemacht; immer häufiger werde die Vergewaltigung von Frauen - siehe Bosnien und Guatemala - und die Verstümmelung von Kindern - siehe Sierra Leone - als Kriegswaffe eingesetzt; ethnische Minderheiten gälten mancherorts als Freiwild - und das beileibe nicht nur in autoritären Staaten: Lochbihler zitierte etwa einen österreichischen Polizistenausbilder mit den Worten "Neger" gehörten "zuerst geschlagen und dann nach dem Namen gefragt". Zur neuen Qualität der Folter zählt laut Amnesty zudem eine "Verfeinerung der Methoden": Vor allem Elektroschockgeräte seien inzwischen derart "verbessert", dass ihre Anwendung später kaum noch feststellbar ist. Für Folteropfer, die fliehen können, werde es somit immer schwerer, die Qualen nachzuweisen. Häufig würden ihre Asylanträge daher abgewiesen - was auch in Deutschland häufig geschehe. Folter seien diese Menschen dann bisweilen auch bei der Abschiebung ausgesetzt: In Österreich, der Schweiz, Belgien, Deutschland und Großbritannien seien Flüchtlinge beim Transport derart misshandelt worden, dass sie starben. Sonderlich viel zu befürchten haben Folterer gleichwohl nicht. In den seltensten Fällen, so Lochbihler, würden Vorwürfe von Opfern überhaupt untersucht, noch seltener seien Bestrafungen. In der Türkei beispielsweise sei zwischen 1995 und 1999 gegen 577 Polizisten und Soldaten wegen Folter ermittelt worden - gerade mal zehn von ihnen wurden am Ende verurteilt. |