Süddeutsche Zeitung, 19.10.2000 Amnesty prangert Folter in 153 Ländern an Von Marianne Heuwagen Berlin - Amnesty International (AI) hat eine weltweite Kampagne gegen Folter gestartet. In den vergangenen drei Jahren sind in 153 Ländern der Welt Menschen gefoltert worden. In 80 Ländern sind Menschen an den Folgen der Misshandlungen gestorben, wie die Generalsekretärin der deutschen AI-Sektion, Barbara Lochbihler, bei der Vorstellung der dritten Anti-Folter-Kampagne der Menschenrechtsorganisation sagte. Die Kampagne wird in der Bundesrepublik von zahlreichen Prominenten unterstützt, unter ihnen die Schauspielerin Meret Becker und der Schriftsteller Johannes Mario Simmel. Becker appellierte an die deutsche Öffentlichkeit, sich dafür einzusetzen, dass die Vorwürfe gegen Polizisten in Brasilien untersucht werden, die einen 15-Jährigen gefoltert haben sollen. Der Fall wird von Amnesty dokumentiert. Die meisten Folteropfer seien verurteilte Straftäter oder Angehörige diskriminierter Minderheiten, die einer Straftat verdächtigt würden, sagte Lochbihler. Die meisten Täter seien Polizisten. Die Kampagne wolle den Zusammenhang zwischen Diskriminierung und Folter verdeutlichen. Aus mehr als 70 Ländern liegen AI Berichte über Folter an politischen Gefangenen vor, aus mehr als 60 Ländern Berichte über Folter an gewaltlosen Demonstranten. Seit AI in den sechziger Jahren zum ersten Mal eine Kampagne gegen Folter startete, hätten sich Methoden und Umstände der Folter enorm verändert. Gefoltert werde nicht nur von Militärdiktaturen und autoritären Regimen, sondern auch in demokratischen Staaten, sagte Lochbihler. Es gebe keine von Folter freien Zonen in der Welt. So gehörten in Rumänien Sinti und Roma zu den Folteropfern, aber auch gegen US-Haftanstalten gebe es immer wieder Foltervorwürfe. Dort würden bei Häftlingen beispielsweise Elektroschock-Gürtel eingesetzt. AI fordert, den Verkauf von Folterinstrumenten einzustellen. Laut AI stellen weltweit etwa 120 Unternehmen Folterwaffen her. Kampf gegen Straffreiheit AI fordert in der Bundesrepublik ein Abschiebeverbot bei drohender Folter, was fast jeden vierten in Deutschland lebenden Asylbewerber betrifft. 1998 sei ein Kurde in die Türkei abgeschoben worden, der schwer gefoltert worden sei, sagte Lochbihler. Die Bundesregierung müsse diese Gefahr in Zukunft berücksichtigen. AI fordert die Regierung ferner auf, ihren mit der Ratifizierung der UN-Anti-Folter-Konvention eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und ihr Engagement gegen die Folter zu verstärken. So müsse die Individualbeschwerde nach Artikel 22 der Konvention anerkannt werden. Deutschland dürfe nicht zusammen mit Großbritannien und Irland Schlusslicht in Europa sein, sondern müsse zum Vorbild werden, sagte Lochbihler. Auch solle die Bundesregierung die Menschenerchtserziehung zum festen Bestandteil der Ausbildung von Polizisten und Mitarbeitern öffentlicher Behörden machen. Der Sprecher des Innenministeriums, Rainer Lingenthal, wies diese Forderung zurück. Die Beachtung der Menschenwürde sei ohnehin oberstes Gebot für Polizei und Behörden. Als positive Zeichen im Kampf gegen die Folter wertete die deutsche AI-Generalsekretärin die Einrichtung der internationalen Tribunale gegen Menschenrechtsverletzungen in Ruanda und dem früheren Jugoslawien. Auch die Festnahme des früheren Militärdiktators Augusto Pinochet zeige, dass niemand außerhalb von Strafe stehe. Wesentlicher Teil der Amnesty-Kampagne ist der Kampf gegen Straffreiheit. |