junge Welt 19.10.2000 »Menschenrechte statt Munition« Hessen: Demonstration gegen Lieferung einer Munitionsfabrik an die Türkei Die Wogen um die Entscheidung des Bundessicherheitsrats, die Genehmigung für die Ausfuhr einer Munitionsfabrik in die Türkei zu erteilen, haben sich schnell geglättet. Offensichtlich ist die Symbolkraft eines einzelnen Panzers wesentlich höher als die einer Fabrik, wie die Debatte um die Lieferung eines Leopard II zu Testzwecken gezeigt hat. Auch die Meldung des Friedensforschungsinstitutes SIPRI, daß Deutschland 1999 erstmals den weltweit vierten Rang unter den Rüstungsexporteuren einnimmt, erregte kaum Aufsehen. Rüstungsunternehmen und Zulieferfirmen wie Fritz Werner, die den Zuschlag für das heikle Türkei-Geschäft erhielt, wird das freuen. Die im Rheingau ansässige Firma, früher ein bundeseigenes Unternehmen, heute Tochter der Ferrostahl AG, hat seit Jahrzehnten gute Geschäftsverbindungen in den Nahen und Mittleren Osten: So gehörte lange Jahre u. a. der Schah von Persien zu den besten Kunden. Auch andere Despoten erfreuten sich der Unterstützung durch Fritz Werner. Im iranisch-irakischen Krieg von 1980 bis 1988 zeigte sich die Firma nicht wählerisch und belieferte beide Kriegsparteien. Exportiert wurden u. a. Anlagen zur Waffenproduktion, deklariert waren sie häufig als »Werkzeugfabriken«, wobei sich das damals bundeseigne Unternehmen bei diesem Verfahren stets der Rückendeckung offizieller Stellen sicher sein konnte. Das geplante Geschäft mit der Türkei hat nun vor allem Gruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet auf den Plan gerufen. Auf Initiative des Wiesbadener Flüchtlingsrates hat sich inzwischen ein Trägerkreis zusammengefunden, der dazu aufruft, am 4. November in Geisenheim, dem Firmensitz von Fritz Werner, gegen dieses Waffengeschäft zu demonstrieren. In einem Aufruf, der neben dem Flüchtlingsrat von zahlreichen regionalen Gruppen mitgetragen wird, wird das vom Bundessicherheitsrat genehmigte Geschäft scharf angegriffen. So seien die meisten der rund 40 000 getöteten Menschen im türkisch-kurdischen Krieg »kleinkalibriger Munition für die bereits genutzten deutschen G-3-Gewehre zum Opfer« gefallen. Außerdem habe die SPD-Grünen- Regierung neue Rüstungsexportrichtlinien verabschiedet, nach denen die Bundesregierung Exporte ablehnt, »bei denen hinreichender Verdacht besteht, daß sie zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen mißbraucht werden«. Genau das sei gegeben, und die Entscheidung verstoße damit gegen selbstgefaßte Beschlüsse. Schließlich geht der Aufruf am Ende auch noch kurz auf die Situation in der Türkei und die drohende Abschiebung der zur Zeit untergetauchten kurdischen Familie Akyüz ein: Das Auswärtige Amt erkenne trotz einiger Korrekturen in seinem aktuellen Lagebericht für die Türkei keine Gruppenverfolgung für Menschen kurdischer Nationalität an. Dabei zeigten zahlreiche Berichte, z.B. die der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments, des IHD, des US- Außenministeriums, der IPPNW und die von Amnesty International, daß gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Folter und sexuelle Gewalt Alltag in der Türkei seien und »systematisch verübt werden«. Auch würden der Niedersächsische Flüchtlingsrat und Pro Asyl in ihrer Dokumentation »Von Deutschland in den türkischen Folterkeller« darlegen, daß in mehreren Fällen abgeschobene Kurden in der Türkei erneuten Verhaftungen und Folterungen ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund sei es dringend geboten, der akut von Abschiebung bedrohten, zuletzt in Wiesbaden ansässigen Familie Akyüz ein Bleiberecht zu ermöglichen. Ein Motto, das in Geisenheim am 4.11. auch die Demonstration und Kundgebung begleiten wird: »Menschenrechte statt Munition und Panzer. Kein Waffenexport in die Türkei! Keine Abschiebungen in den Folterstaat Türkei! Bleiberecht für Familie Akyüz!« Thomas Klein * Treffpunkt am 4. 11.: 11.30 Uhr Bahnhof Geisenheim
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