Bremer Nachrichten, 19.10.2000
EU fasst Türkei mit Samthandschuhen an Im Dokument zur "Beitrittspartnerschaft" spielt die Kurdenfrage so gut wie keine Rolle Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten Istanbul. Aufbruchstimmung macht sich in diesen Tagen in der türkischen Europapolitik breit - und das nicht nur bei EU-Minister Mesut Yilmaz, der am Mittwoch zu Gesprächen über das türkische Beitrittsstreben nach Brüssel reiste. Drei Wochen vor dem Stichtag, an dem die EU-Kommission ihre Checkliste für die Bedingungen eines türkischen EU-Beitritts vorlegen soll, sickerte jetzt ein Entwurf des Dokuments an die türkische Presse durch, in dem die heikle Kurdenfrage nur diskret umschrieben wird. Das EU-Dokument zur türkischen "Beitrittspartnerschaft" enthalte keine "negative Botschaft" zur Minderheitenfrage, bestätigte Außenminister Ismail Cem diese Berichte. Der Entwurf könne aber bis zur Veröffentlichung jederzeit noch geändert werden, warnen türkische Kommentatoren. Und selbst wenn es bei dem unverfänglichen Wortlaut bleiben sollte, bedeute dies nicht, dass die Türkei ohne Zugeständnisse in der Kurdenfrage davonkommen werde, erinnerte Cem seine Landsleute. Bei dem EU-Dokument zur "Beitrittspartnerschaft", das am 8. November vorgelegt werden soll, handelt es sich um einen Katalog von Voraussetzungen, die die Türkei vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllen muss. Unter anderem wird die EU darin voraussichtlich die Abschaffung der Todesstrafe, ein Ende der Folter, die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Beschränkung des militärischen Einflusses auf die Politik fordern. Über die meisten Punkte, die in der "Beitrittspartnerschaft" auftauchen sollen, hatten sich türkische Politiker schon bei informellen Vorgesprächen im Juli mit EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen verständigen können. Strittig blieb damals aber noch die Frage, ob und in welcher Form die Kurdenfrage in dem Dokument angesprochen werden solle: Während Verheugen der türkischen Seite mit dem Vorschlag entgegenkommen wollte, statt von der Kurdenfrage von den Problemen im (mehrheitlich kurdischen) Südosten zu sprechen, lehnten seine Gesprächspartner selbst diese Formulierung als zu weitgehend ab; sie wollten höchstens eine "Disparität zwischen den Regionen" erwähnt wissen. Die letzte Entscheidung über diese Feinheiten liegt bei Brüssel, denn bei der "Beitrittspartnerschaft" handelt es sich um ein reines EU-Dokument; die türkische Seite bekommt später Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn sie ihren nationalen Fahrplan zur EU-Beitrittsfähigkeit vorlegt. Im Entwurf des Partnerschaftsdokuments entschieden sich die Europäer offenbar trotzdem für die Samthandschuhe: Um die Disparität zwischen den Regionen zu vermindern, solle vor allem die Lage im Südosten verbessert werden, zitierte die liberale Zeitung "Milliyet" aus dem Papier. Der Begriff "Kurden" tauche in dem Dokument nicht auf, ebensowenig das Wort "Minderheit". Sollte sich das bestätigen, hätte Brüssel sich offenbar dafür entschieden, die Sollbruchstelle der türkisch-europäischen Beziehungen mit diplomatischen Formulierungen zu kitten - ein Entgegenkommen, dass in Ankara die verbreitete Ansicht bestärken dürfte, der EU-Beitritt sei zu türkischen Bedingungen zu haben. Offenbar um solchen Blütenträumen vorzubeugen, wies Außenminister Cem seine Landsleute am Mittwoch auf die Grundwerte der EU hin. Die Europäer hätten der Türkei zwar keine Bedingungen etwa zur Zulassung der kurdischen Sprache im Fernsehen gestellt, sagte Cem in einem Zeitungsinterview. "Die EU hat aber ihre Ansprüche an Grundfreiheiten und erwartet von allen Beitrittskandidaten deren Umsetzung", sagte Cem. Wenn die Türkei demnächst Beitrittsgespräche mit der EU aufnehmen wolle, dann müsse sie bestimmte politische Bedingungen erfüllen - gleich wie diese umschrieben werden. |