Süddeutsche Zeitung, 20.10.2000
Fatah: Arafat kann den Frieden nicht anordnen Kämpfe flauen nur wenig ab / Israel öffnet Städte im Westjordanland / UN debattieren in New York und Genf / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Zwei Tage nach dem Nahost-Krisengipfel im ägyptischen Scharm el-Scheich sind die gewalttätigen Unruhen in den Palästinensergebieten zurückgegangen, aber noch nicht abgeflaut. Israel und die Palästinenser hatten dort ein sofortiges Ende der Gewalt vereinbart. Am Donnerstag wurden jedoch bei Zusammenstößen in den Städten Ramallah, Hebron und Nablus sowie im Gazastreifen ein Palästinenser getötet und mehrere Palästinenser und israelische Soldaten verletzt. Bei einer Bombenexplosion im Gazastreifen wurde niemand verletzt, der Sprengsatz detonierte, als ein Bus mit jüdischen Siedlern vorbeifuhr, nach einem Schusswechsel zwischen militanten Palästinensern und israelischen Soldaten. Der Sprecher der israelischen Regierung sagte, noch habe die Palästinensische Autonomiebehörde nicht für völlige Ruhe gesorgt. Außenminister Schlomo Ben-Ami sagte, er werde an alle EU-Außenminister schreiben, um Israels Missfallen über Arafats fehlende Gewalteindämmung zu zeigen. Israels Premier Ehud Barak erklärte, es werde "noch einige Zeit" dauern, bis wieder eine Atmosphäre herrsche, in der beide Seiten miteinander verhandeln könnten. Israel setzte den Rückzug seiner Truppen aus den Palästinensergebieten fort, räumte Straßensperren an den Einfahrten zu palästinensischen Städten und öffnete die Grenzübergänge nach Ägypten und Jordanien. Das erste Flugzeug startete wieder vom Flughafen in Gaza. Palästinensische Arbeiter dürfen noch nicht nach Israel einreisen. Der Fatah-Führer Marwan Barguti erklärte, die Ausschreitungen ließen sich auch auf Anordnung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat nicht wie auf Knopfdruck stoppen. Barguti gilt als einer der Anführer des palästinensischen Aufstands. Er sagte, eine breite Masse stehe hinter dem Aufruhr, aber sie befolge Anordnungen nicht wie Soldaten in einer Armee. Die Palästinenser werfen Israel vor, die Übereinkunft von Scharm el-Scheich zu missachten. Der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat beklagte, Israel blockiere noch immer die Zugänge zu Flüchtlingslagern und einigen palästinensischen Städten. Auch der palästinensische UN-Vertreter Nasser el-Kidwa hat bei der UN-Vollversammlung in New York Israel eine "blutige Unterdrückungskampagne gegen seine Landsleute vorgeworfen. Der israelische UN-Botschafter Jehuda Lancry sagte, der heftige Ton der UN-Debatte widerspreche dem Geist der Vereinbarung von Scharm el-Scheich. Die UN-Versammlung war auf Initiative Kidwas und einiger arabischer Staaten zu Stande gekommen, nachdem der Sicherheitsrat eine zweite Dringlichkeitssitzung zum Nahost-Konflikt abgelehnt hatte. Die Rede des UN-Generalsekretärs Kofi Annan wird am Freitag erwartet. Zeitgleich debattiert die UN-Menschenrechtskommission in Genf über eine Resolution, die das Verhalten der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern scharf verurteilen soll. Auch die Außenminister der Arabischen Liga diskutierten im Vorfeld ihres am Wochenende in Kairo geplanten Gipfeltreffens über die Lage in den Palästinensergebieten. Syrien will die arabischen Staaten auffordern, ihre Beziehungen zu Israel einzufrieren. |