Frankfurter Rundschau, 20.10.2000
Der strittige Versuch, eine Trutzburg zu schließen Die Innenminister tagen heute - einig über den Verbotsantrag gegen die NPD sind sie noch lange nicht Von Pitt von Bebenburg, Richard Meng und Axel Vornbäumen (Berlin) Die Fahne raus, die Türen fest verschlossen. Es ist nicht leicht, die wie eine Trutzburg angelegte NPD-Zentrale in der Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick zu betreten. Metalltüren, Sicherheitsschleuse, Personalienüberprüfung - nur sporadisch und dann auch nur, wenn's dem "nationalen Widerstand" dient, geben die Rechtsextremen Einblicke in ihre Welt - so wie kürzlich, als NPD-Chef Udo Voigt, flankiert vom einstigen Führer der Republikaner, Franz Schönhuber, und dem Neu-Rechtsaußen Horst Mahler, die Initiative "Ja zu Deutschland - Ja zur NPD" vorstellte. Das krude Trio sah sich zur Feststellung genötigt, dass "die Feinde Deutschlands Witterung aufgenommen" haben. "Verblendet glauben sie", so Horst Mahler, "den wachsenden nationalen Widerstand mit einem Verbot der NPD brechen zu können." So weit ist es zwar noch längst nicht. Doch NPD-Chef Voigt kann bereits jetzt erste angenehme Nebenwirkungen der "Polarisierung" vermelden: Bis Mitte September hätte es durch die Verbotsdiskussion schon über 700 Neu-Eintritte in die Partei gegeben. Sollte es es stimmen, wäre es ein Argument für jene, die Pläne für ein NPD-Verbot mit großer Skepsis sehen. Die Debatte darüber sollte ein Signal der Einigkeit der Demokraten aussenden. Mehr und mehr geschieht genau das Gegenteil: Parteiengezänk bestimmt das Bild. Das Hickhack um die heutige Innenminister-Konferenz ist ein Indiz dafür - sie wird die Entscheidung über das Verbot vermutlich vertagen. Renate Künast ärgert sich. "Ich wünsche mir, dass wir wieder über den Kern des Ganzen reden: Wie bekämpfen wir den Rechtsextremismus?", sagt die Grünen-Chefin. Genau davon habe Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) "ablenken" wollen mit seinem Vorstoß für ein NPD-Verbot. Stattdessen müsse auch darüber geredet werden, wie die Unionsparteien mit ihren Äußerungen zu Ausländer- und Zuwanderungspolitik den Ultrarechten den Boden bereiteten. Künast liegt daran, dass "Repression, Prävention und Zivilcourage" gleichermaßen entwickelt werden. Die Großkundgebung gegen rechte Gewalt, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus am 9. November in Berlin vorzubereiten, sei ihr deshalb "eigentlich wichtiger" als die Debatte über ein NPD-Verbot. Auch wenn Künast schon lange Bedenken angemeldet hat, ob ein Verbot der Neonazi-Partei das richtige Mittel ist, sieht sie inzwischen den Punkt erreicht, wo "man gar nicht mehr anders kann". Die FDP sieht das anders. Sie wäre mittlerweile nur noch dann bereit, sich in dem vom Kanzler und von Innenminister Schily eingeforderten Allparteienkonsens einzufinden, wenn sich unter dem 500 Seiten umfassenden, aber noch vertraulich gehandelten Material ein "verfassungsrechtlicher Knaller" befinden sollte, wie es FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle ausdrückt. Ein "Knaller" wäre beispielsweise ein im NPD-Vorstand geplanter Anschlag - nachzuweisen letztlich nur durch einen in die NPD-Spitze eingeschleusten V-Mann, der dann bei einem etwaigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht enttarnt werden müsste. Weit darunter aber machen es die Liberalen nicht. Das Fehlverhalten einzelner Funktionäre, so Westerwelle, reiche nicht aus. In der SPD versteht die große Mehrheit solche Zweifel nicht. "Wenn Politiker dieses Verbot erst einmal gefordert haben, können sie nicht mehr zurück": Nach dieser Philosophie wird in der großen Regierungsfraktion jetzt eine große Mehrheit für den Verbotsantrag erwartet. Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher, sieht weniger in der Programmatik als bei der "sozialrevolutionären Seite" der NPD die große Gefahr. Das Geheimdienstmaterial dazu, das Vertretern der Fraktionen erst nächste Woche vorgelegt werden soll, könne da bestenfalls noch "abrunden", was über die "Praxis auf den Straßen" durch Medienberichte ohnehin bekannt ist. Es wäre, auch verfassungsjuristisch, ein neuer Ansatz, über Fernsehbilder und Straßenparolen zu urteilen und weniger über Parteitagsbeschlüsse. Aber der Abgeordnete will diesen Antrag riskieren. Und sagt, er sei "noch nie so zuversichtlich" gewesen, "dass wir mit diesem braunen Sumpf fertig werden". Es ist die Grundentscheidung vom Sommer, auf staatliche Härte umzuschalten, die dahinter steht. Es werde noch weitere Verbote von rechtsextremen Organisationen durch Schily geben, um die "Verfestigung rechtsextremer Subkultur" aufzubrechen, erwartet Wiefelspütz. In der SPD rechnet man fest mit der Zustimmung von Grünen, PDS und CSU. Die abwartende Haltung mancher CDU-Politiker bewerten Sozialdemokraten eher als "parteipolitische Spielchen". Schon vergangene Woche hat CSU-Landesgruppenchef Michael Glos erklärt, die CSU werde gegenüber dem Münchner Minister Beckstein "solidarisch" bleiben, und auch die CDU werde am Ende zustimmen müssen. Die Verfassungsschützer haben zahlreiche Belege dafür gesammelt, dass die NPD nicht nur verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, sondern auch aggressiv kämpferisch gegen die demokratische Grundordnung vorgeht. Mehrere hundert Seiten sind zusammengekommen, die in den Innenministerien studiert wurden. Doch während sie dafür gerade eine Woche Zeit hatten, traf auch am Donnerstag noch laufend zusätzliches Material bei den Ländern ein. Diese Informationen müssen nach Ansicht von Unionsfraktionschef Friedrich Merz und den CDU-Innenministern der Länder erst bewertet werden. Beckstein freilich versichert, dass die Belege für ein Verbot der NPD ausreichten. Er betont dabei den Wandel der Partei, die sich von der früheren "Altherrenpartei" zu einer Partei gewandelt habe, die den "Kampf um die Straße" zu ihrem Ziel erklärt habe. Dafür binde die NPD auch junge Männer aus der rechtsextremen Neonazi- und Skinhead-Szene an sich. Mehrere Personen, die Anfang der 90er Jahre verbotenen Neonazi-Organisationen angehört hätten, agierten inzwischen in führenden Rollen bei der NPD, sagt Becksteins Sprecher. Beispiele seien der Chef der Jungen Nationaldemokraten, Sascha Roßmüller, der früher dem "Nationalen Block" angehört habe, und der NPD-Bundesorganisationsleiter Jens Pühse, der von der "Nationalistischen Front" komme. Wenn solche Leute den Ton in der NPD-Trutzburg in Köpenick angeben, werde auch das Bundesverfassungsgericht von einem Verbot zu überzeugen sein. |