Weser Kurier, 21.10.2000 "Wir sitzen alle in einem Boot" Entwicklungs-Ministerin Wieczorek-Zeul fordert neues Verhältnis zur Dritten Welt" Rainer Kabbert WESER-KURIER: Halbzeitbilanz der Entwicklungspolitik - worauf sind Sie besonders stolz? Heidemarie Wieczorek-Zeul: Wichtig war erstens, die Entschuldungsinitiative für die ärmsten Länder angestoßen zu haben. Dabei muss der neue finanzielle Spielraum der Entwicklungsländer für die Bekämpfung der Armut eingesetzt werden. Es sind in diesem Zusammenhang auch die falschen Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds verändert worden. Zweitens wurde die Entwicklung des zivilen Friedensdienstes vorangetrieben. Dies sind speziell ausgebildete Kräfte, die durch Vermittlung Konflikte eindämmen sollen. Dritter Pluspunkt ist die Präsens des Entwicklungsministeriums im Bundessicherheitsrat. Wir haben mit dazu beigetragen, die politischen Grundsätze für den Rüstungsexport entsprechend zu verändern, damit die Waffenexportpolitik sehr restriktiv wird und die Nachhaltigkeit der Entwicklung in den Partnerländern sowie die Menschenrechte berücksichtigt werden. Entwicklungszusammenarbeit kostet Geld. Ihr Etat hat noch immer keinen Anteil von 0,7 Prozent des Sozialprodukts - entgegen den Versprechungen, die die vorhergehende Bundesregierung auf dem UN-Erdgipfel von Rio 1992 gegeben hatte. Die alte Bundesregierung hat uns allerdings auch 82 Milliarden Mark an jährlichen Zinslasten hinterlassen. Unser Etat wird 2001 aufgestockt. Es ist aber auch klar: So ein Entwicklungsetet ist nur ein schmaler Ausschnitt dessen, was auf Entwicklungsländer einwirkt. Durch jede Finanzsspekulation, die Lateinamerika oder Asien ins Chaos gestürzt und Armut vergrößert hat, wird mehr zerstört, als durch Entwicklungszusammenarbeit ausgeglichen werden könnte. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer verändert werden. Wir wollen auch den Zugang zu den Märkten der Industrieländer verbessern. Die EU-Kommission hat gerade beschlossen, dass den 40 ärmsten Ländern der zollfreie Zugang zu den europäischen Märkten eröffnet werden soll. Es ist doch eine Absurdität, diese Länder am Tropf der Entwicklungszusammenarbeit zu halten, ihnen aber keine Möglichkeit zu geben, ihre Wirtschaft zu entwickeln und Devisen einzunehmen. Um noch einmal auf Ihren Etat und das 0,7-Prozent-Versprechen zu kommen: Muss der Mann auf der Straße nicht die Idee entwickeln, Gipfel-Deklarationen seien das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind? Über lange Jahre ist unterschwellig die Botschaft vermittelt worden, "wenn du deinem Nachbarn hilfst, stärkst du deinen künftigen Konkurrenten". Diese neoliberale Einstellung hat dazu geführt, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht die notwendige Unterstützung gefunden hat. Wichtig ist ein Denken, dass wir voneinander abhängig sind. Wenn Entwicklungsländer darauf verzichten, ihre Tropenländer abzuholzen, ist das auch eine Leistung für uns. Wir sitzen wirklich in einem Boot. Dieses Denken müssen wir wieder herstellen. Die alte Bundesregierung hat 1982 einen Entwicklungs-Etat mit einem Anteil von 0,48 Prozent am Bruttosozialprodukt vorgefunden, am Ende der Regierung lag er bei 0,26 Prozent. Mein Ziel ist, diese Quote zu erhöhen. Nach dem mittelfristigen Finanzplan der Bundesregierung werden Sie 2004 noch weniger haben als heute. Oder hoffen Sie noch auf die Zins-Ersparnisse durch die UMTS-Erlöse? Wir sind noch im Haushaltsverfahren. Wir haben ja im Gegensatz zu den meisten anderen Ministerien im nächsten Jahr einen Zuwachs von 1,7 Prozent... ...durch Buchungstricks... ...falsch, wir haben neue Aufgaben nach dem Transformprogramm für Osteuropa und dem Südosteuropa-Stabilitätsprogramm bekommen. Diese Mittel kamen von anderen Etats in unseren Haushalt. Aber wir sind uns ja einig: Insgesamt muss der Entwicklungshilfe-Etat aufgestockt werden. Verringerung der Schuldenlasten könnte Entwicklung fördern. Doch so richtig in Gang gekommen ist die Entschuldung bisher nicht. Gerade mal Uganda ist seine Kreditschulden los. Wenn wir nur die Schulden erließen, würde sich nichts Großes verändern. Jetzt geht es darum, dass die betroffenen Länder ihre eigenen Konzepte für die Armutsbekämpfung vorlegen. In Bolivien zum Beispiel diskutieren die Menschen auf regionaler und lokaler Ebene gerade darüber, wie die Ersparnis aus dem Schuldenerlass am besten zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden kann. So ein partiziper Prozess geht nicht von heute auf morgen, und das Geld soll ja auch nicht irgendwo versickern. Sie haben Konzepte, wie Armut verringert werden könnte. Doch Erfolge gehen durch spekulative Finanzströme, Handelsbarrieren, Bürgerkriege verloren. Gleicht Ihre Arbeit manchmal dem Kampf gegen Windmühlen-Flügel? Nein, weil es ja wirklich Erfolge gibt. Das Problem ist, man betont in der Öffentlichkeit zu oft nur die Misserfolge. Tatsache ist zum Beispiel: Das Analphabetentum ist zurückgegangen, die Lebenserwartung hat sich verbessert, es gibt also auch positive Entwicklungen. In Kooperation mit der Wirtschaft? Ja, wir stärken die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft, zum Beispiel im Bereich erneuerbarer Energien, bei der Aidsbekämpfung, im Bereich der Kommunikations- und Informationstechnologien. Dadurch haben wir im letzten Jahr eine Milliarde an zusätzlichen Mitteln mobilisiert. Betrachten Sie Entwicklungszusammenarbeit wie Ihre Vorgängerregierung als Exportstütze? Nein. Wir sind in der Entwicklungspartnerschaft mit cirka 300 deutschen Unternehmen verbunden, mit denen wir gemeinsame Projekte identifizieren und dann fragen: Was macht der private Sektor, was machen wir? Wichtigstes Kriterium: Es muss imEntwicklungsinteresse des Partnerlandes sein. Daß Entwicklungszusammenarbeit auch Arbeitsplätze in großem Umfang sichert, ist ein guter Nebeneffekt. Zurück zu Ihrer Rolle im Bundessicherheitsrat: Deprimiert es Sie, beim Thema Rüstungsexport regelmäßig überstimmt zu werden? Wie kommen Sie denn darauf, dass ich überstimmt wurde? Na, etwa bei der Lieferung einer Munitionsfabrik für die Türkei... Wegen der Geheimhaltungsvorschrift darf ich mich zu Einzelfällen nicht äußern. Nur soviel allgemein: Ich frage mich jedes mal, wieviel gibt ein Land für Militär, wieviel für Bildung und Gesundheit aus? Ich bin der Meinung, dass Entwicklungsländer alles notwendiger brauchen als Waffenlieferungen!
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