Die Presse, 21.10.2000 Müde vom Kampf mit den Fundamentalisten Irans Präsident Khatami zögert, für eine zweite Amtsperiode zu kandidieren. Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN ISTANBUL/TEHERAN. Noch Anfang August schien alles klar, Irans Präsident Ayatollah Mohammed Khatami erklärte, er werde für eine zweite Amtszeit bei den Wahlen im kommenden Jahr antreten. Jetzt ist wieder alles unklar. Khatamis Vertrauter Behzad Nabawi spricht offen von Amtsmüdigkeit: "Der Präsident zeigt keine große Begeisterung, bei den Präsidentschaftswahlen für eine zweite Amtsperiode anzutreten." Und fügt hinzu, für Khatamis nachlassenden Elan sei der permanente Kampf gegen die innenpolitischen Gegner verantwortlich. Die Vorgänge um den Minister für Kultur und islamische Lenkung, Ayatollah Mohajerani, könnten dafür ein Auslöser sein. Seit Wochen halten sich Gerüchte, Mohajerani habe seinen Rücktritt eingereicht. Einmal heißt es, Khatami habe den Rücktritt angenommen, Mohajerani aber aufgefordert, die in seinem Gesuch enthaltenen harten Angriffe gegen die Konservativen zu mäßigen; dann heißt es wieder, Mohajerani habe sein Rücktrittsgesuch zurückgezogen. Weder Khatami noch Mohajerani stellten die Sache klar. Dabei ist Mohajerani nicht irgendein Minister. Für den heiklen Bereich der kulturellen Freiheiten, als deren Anwalt Khatami 1997 angesehen und gewählt wurde, hat er eine Schlüsselfunktion, und er hat sie auch genützt. So hat er etwa reformorientierte Printmedien zugelassen, die von der konservativen Justiz erst im nachhinein wieder Stück um Stück zugesperrt werden konnten. Allerdings haben die Konservativen in diesem Wettlauf im Frühjahr mit einem verschärften Pressegesetz punkten können. Die Diskussion über eine Revision dieses Pressegesetzes hat der religiöse Führer des Iran, Ali Khamenei, dem inzwischen von den Reformern beherrschten neuen Parlament kurzerhand verboten. Konsens ist unentbehrlich Die konservative Justiz blockiert zwar neue Zeitungen, dennoch ließen Mohajeranis Beamte Neugründungen zu. Kein Wunder, daß die Konservativen diesen Minister gerne los wären. Khamenei hat Angst vor einer schleichenden Veränderung der Verhältnisse - vor allem, seit die Reformer bei den Wahlen im Februar einen Sieg errungen haben. Andererseits aber funktioniert Khatamis Reformpolitik ohne Konsens mit Khamenei nicht. Vor Studenten in Teheran sagte Khatami kürzlich: "Einige Leute erwarten einen fundamentalen Wandel, und wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, sind sie enttäuscht." Khatami ist bemüht, in der Mitte zu bleiben und sich nach beiden Seiten Wege offenzuhalten: "Sowohl Säkularismus als auch Fundamentalismus werden zum Zusammenbruch der islamischen Revolution führen", warnte er. Seine Amtsmüdigkeit ist denn auch ein Druckmittel gegen Khamenei: Denn dieser ist sich der Bedeutung Khatamis als Integrationsfigur für die unzufriedenen Massen wohl bewußt.
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