Frankfurter Rundschau, 23.10.2000 Volkszählung legt das öffentliche Leben still ISTANBUL, 22. Oktober (afp). Eine Volkszählung mit landesweiter Ausgangssperre hat am Sonntag das öffentliche Leben in der Türkei zum Stillstand gebracht. Alle Geschäfte waren geschlossen, es gab keine Busse und keine Taxis. Alle 65 Millionen Türken mussten vom frühen Morgen bis zum Abend zu Hause bleiben, um sich registrieren zu lassen, 900 000 staatliche Helfer gingen mit Fragebögen von Haus zu Haus. Für Proteste sorgte die Entscheidung des Statistikamtes DIE, anders als bei früheren Volkszählungen auch die ausländischen Touristen in der Türkei mitzuzählen. Im westtürkischen Kusadasi gab es deshalb Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Urlaubern. Istanbul erlebe einen "lautlosen Sonntag", kommentierte der Fernsehsender NTV. Nur die Polizeipatrouillen waren auf den Straßen zu sehen. Viele Türken fühlten sich an die Ausgangssperren nach den Militärputsch von 1960, 1971 und 1980 erinnert. Die Behörden versprachen, bei der nächsten Volkszählung könne auf die Ausgangssperre verzichtet werden, weil ein modernes Melderegister aufgebaut werde. Bei der Volkszählung wurden den Bürgern 43 Fragen vorgelegt. Gefragt wurde unter anderem nach Alter, Beruf, Bildungsstand und Umzügen in den vergangenen fünf Jahren. Damit wollen die Behörden Erkenntnisse über die Wanderungsbewegungen in der Türkei gewinnen. Die letzte Volkszählung in der Türkei liegt erst drei Jahre zurück, doch ihre Ergebnisse gelten als unzuverlässig.
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