Frankfurter Rundschau, 23.10.2000 "Zuwanderung sichert den Anschluss an die Zukunft" Volkswirt Zimmermann warnt davor, mit Ausländerthemen auf Stimmenfang zu gehen Der Volkswirt Klaus F. Zimmermann hat davor gewarnt, sich in einer internationaler werdenden Welt einzuigeln. Das Vorhaben führender Unionspolitiker, die Zuwanderung zum Wahlkampfthema zu machen, "ist gefährlich, weil es im Grunde das Gegenteil von Fortschritt bedeutet", findet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin und des Instituts für die Zukunft der Arbeit in Bonn. Mit Zimmermann (Bild: dpa) sprach der Berliner FR-Korrespondent Hilmar Höhn. FR: Seit wann leben die Deutschen mit dem Phänomen Einwanderung? Klaus Zimmermann: Neu ist das für die Deutschen nicht. Die Industrialisierung beispielsweise wäre nicht möglich gewesen ohne die zugereisten Grubenarbeiter aus Schlesien. Viele Eisenbahnstrecken in Süddeutschland wurden von italienischen Gastarbeitern gebaut. In den 60er Jahren kamen wieder Italiener, Türken und Spanier. Das wird uns im neuen Jahrtausend auch wieder beschäftigen. Einwanderung findet immer dann statt, wenn Menschen produktiv etwas zur Fortentwicklung einer Gesellschaft beitragen können. Wenn ein Teil unseres Erfolges auf den Mut von Millionen zurückzuführen ist, die ihre Heimat gegen ein Leben in Deutschland eintauschen, warum können Politiker bei einem großen Teil der Deutschen Ressentiments gegen Fremde provozieren? Das Seltsame ist, dass Einwanderung in Gegenden besonders gefürchtet ist, wo sie kaum stattfindet, derzeit gilt das für Ostdeutschland. Wo die Menschen sehen, dass es Vorteile bringt, wird Einwanderung ja akzeptiert. Aber auch im Westen der Republik, wo wir nach dem Zweiten Weltkrieg prozentual mehr Zuwanderung als in den "klassischen" Einwanderungsländern USA, Kanada oder Australien hatten, werden die positiven Erfahrungen langsam verdrängt. Auch zwischen Hamburg und München wächst wieder die Angst und die Ablehnung alles Fremden. Sie sagen, Einwanderung kann etwas zum Fortschritt einer Gesellschaft beitragen. Was bringt uns Einwanderung heute? Man braucht Einwanderung etwa dann, wenn Veränderungen rasch vor sich gehen und eine Gesellschaft nicht darauf vorbereitet ist. Heute haben wir in vielen Sparten der Wirtschaft einen Mangel an Fachkräften, etwa in der Biotechnolgie, der Computer- und Softwarebranche, aber auch in manchen Dienstleistungsbereichen. Es geht gar nicht ohne Einwanderung. Und wir brauchen Einwanderung auch mittelfristig. Unsere Gesellschaft vergreist. Immer weniger Arbeitnehmer arbeiten für immer mehr Rentner, so dass unser Sozialsystem in Frage gestellt ist. Mit den Fachkräften ist das aber so eine Sache. Noch im Frühjahr tönte jeder Besitzer einer Computerbude, ohne 10 000 Spezialisten aus Indien verliere Deutschland den Anschluss an die digitale Zukunft. Nun sind gerade mal 2500 Experten im Lande. Vieles von dem Gerede vom Fachkräftemangel ist doch einfach heiße Luft. Na, die Frage ist doch, ob diejenigen, die sich bewerben, auch diejenigen sind, die hier zu Lande nachgefragt werden. Es ist eine Illusion zu glauben, jetzt kämen die Besten weltweit zu uns. Die gehen in die USA und nach England. Dort werden sie nicht nur besser bezahlt, sie haben es auch leichter mit der Sprache und - wahrscheinlich viel wichtiger - sie treffen auf Netzwerke und Strukturen anderer Auswanderer, die dort schon heimisch geworden sind. Das ist bei uns nicht so ausgeprägt. Wir sind es gar nicht gewohnt, uns auf dem Weltmarkt für internationale Fachkräfte zu bewähren. Da fehlt uns - ehrlich gesagt - ein Stück Kultur. Kann man der Vergreisung durch Zuwanderung begegnen? Das geht. Dann müssen in den nächsten zehn Jahren rund 200 000 Menschen pro Jahr einwandern. In den zehn Jahren danach müssen es 500 000 jährlich sein. Nach all den Angriffen auf Menschen aus anderen Ländern, nach teils erschreckenden Umfrageergebnissen glauben Sie, die Deutschen sind reif genug für eine Zuwanderung in dieser Größenordnung? Das kommt auch auf die Herkunft der Zuwanderer an. Wir erwarten, dass sehr viele Menschen aus Mittel- und Osteuropa hierher kommen. Ich sehe da keine großen Probleme auf uns zu kommen. Aber natürlich müssen wir viel stärker als bisher darauf achten, dass die Menschen eine echte Chance haben, sich hier eine Heimat aufzubauen. Was muss Ihrer Ansicht nach geschehen? Es scheint mir wichtig zu sein, dass darauf geachtet wird, dass die Leute die deutsche Sprache in Grundzügen verstehen, schon bevor sie hierher kommen. Hier müssen wir das weiter fördern. Und wir dürfen ihre Partner und Kinder nicht vergessen. Sprache ist der wohl wichtigste Baustein für eine Integration, die den Namen verdient. Das klingt alles sehr stark danach, als müssten wir darauf achten, dass nur gute, weil für das Wohlergehen der Wirtschaft förderliche Ausländer nach Deutschland ziehen dürfen. Flüchtlinge dagegen kommen, ohne gefragt zu haben ... ... die beiden Gruppen darf man nicht gegeneinander aufrechnen. Zu den positiven Traditionen dieses Landes gehört, dass man sich der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung für Flüchtlinge bewusst ist. Dieses Klima der Toleranz ist es aber gerade, das unser Land auch für Fachkräfte interessant machen würde. Derzeit aber sendet unser Land sehr gemischte Signale aus. Einerseits bemühen sich Regierung und Wirtschaft um den Zuzug von Computerexperten und dann werden Ausländer auf unseren Straßen totgeschlagen. Die Öffnung des Arbeitsmarktes ist ein ungeheuer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn eines wissen wir: Dort, wo die Arbeitsmärkte eher abgeschottet sind wie bei uns oder in Schweden, werden auch Flüchtlinge schlechter respektiert als in offeneren Gesellschaften. Was muss aus Ihrer Sicht denn jetzt passieren: Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz? Müssen wir vorrangig die Integration der hier lebenden Ausländer verbessern? Wir brauchen ganz dringend ein Einwanderungsgesetz. Darin müssen die Instrumente geklärt sein, wie Ausländer zu uns kommen können. Und die Ziele, die wir damit erreichen wollen, die müssen offen diskutiert werden. Eigentlich glaube ich, das könnten alle demokratischen Parteien mittlerweile mittragen. Und natürlich müsste einmal festgeschrieben werden, welche Aufgaben der Staat übernimmt, um die multikulturelle Entwicklung unserer Gesellschaft in Gang zu bringen. Was müssen denn die Bürger oder die Unternehmen beisteuern, damit Deutschland ein gesellschaftlich modernes Land wird? Ich glaube, bei der Wirtschaft ist die Bereitschaft groß, sich dem internationalen Arbeitsmarkt zu öffnen. Gerade die Konzerne würden gerne noch weiter gehen. Ich denke, darin verborgen ist im übrigen das Problem der Wirtschaft mit der CDU. Die Union hat - in Teilen - einfach nicht begriffen, was die Moderne für Anforderungen stellt. Herrn Merz ist im Besonderen zu raten, im nächsten Bundestagswahlkampf nicht mit dem Ausländerthema hausieren zu gehen. Das bringt nicht nur nichts, das sieht man am Beispiel Nordrhein-Westfalen. Das ist sogar gefährlich, weil es im Grunde das Gegenteil von Fortschritt bedeutet. Sich in einer internationaler werdenden Welt einigeln zu wollen zeugt davon, dass man den Herausforderungen der Moderne nicht gewachsen ist. So bereitet man das Feld nur für Rechtsradikale. Und wir Bürger, wir müssen lernen, die Fähigkeiten der anderen zu akzeptieren und wert zu schätzen. Wir müssen begreifen, dass uns Zuwanderung den Anschluss an die Zukunft sichert.
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