Süddeutsche Zeitung, 24.10.2000 Verhandlungen in Israel gescheitert Scharon lehnt Baraks Koalitionsangebot ab Likud-Chef setzt Gespräche mit dem Premier über eine Notstandsregierung aus / Flughafen in Gaza geschlossen / Von Heiko Flottau Kairo - Israels Premier Ehud Barak und der rechtskonservative Oppositionsführer Ariel Scharon haben sich nach Angaben eines Sprechers von Scharon am Montag nicht auf eine gemeinsame Regierung geeinigt. Das Angebot von Barak sei nicht akzeptabel gewesen, sagte Silwan Schalom von Scharons Likud-Partei. Barak und Scharon hätten jedoch vereinbart, sich im Laufe des nächsten Tages erneut zu treffen. Schalom sagte, seine Partei bestehe darauf, dass Barak ihr "tatsächlichen Einfluss" auf die Nahost-Verhandlungen zugestehe. Scharon ist ein strikter Gegner von Baraks Friedenspolitik gegenüber den Palästinensern. Er hatte mit seinem Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg Ende September die derzeitigen Unruhen ausgelöst. Die Situation in den Palästinensergebieten verschärfte sich unterdessen weiter. Israelische Truppen riegelten die unter palästinensischer Verwaltung stehende Kleinstadt Beit Dschallah zwischen Bethlehem und Jerusalem ab. Aus Beit Dschallah seien Bewohner der nahe gelegenen israelischen Siedlung Gilo von Palästinensern beschossen worden, hieß es. Israel reagierte mit Angriffen aus Kampfhubschraubern. Jerusalem schloss außerdem den Flughafen in Gaza. Beobachter fürchten eine monatelange Blockade der Friedensverhandlungen, sollte eine Regierung mit dem Likud zu Stande kommen. Auch im israelischen Regierungskabinett gibt es Widerstand gegen eine große Koalition. Justizminister Jossi Beilin sagte, dadurch werde der Eindruck verstärkt, dass Israel keinen Frieden schließen wolle. "Wenn Scharon ein Vetorecht für die Friedensverhandlungen bekommt, fühle ich mich nicht mehr in der Lage, in der Regierung zu sitzen", erklärte Beilin. Das israelische Parlament kommt am Sonntag zu seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammen. Gelingt es Barak bis dahin nicht, den Likud-Block in seine Regierungskoalition einzubinden, gelten Neuwahlen als wahrscheinlich. Nach der Abriegelung von Beit Dschallah erklärte Israels Generalstabschef Schaul Mofas, sein Land könne es nicht hinnehmen, dass die Palästinenser "ein normales Leben auf israelischer Seite" unmöglich machten. Am Sonntag waren bei neuen schweren Kämpfen zwischen Palästinensern und Israelis vier Palästinenser getötet worden. Damit ist die Zahl der Toten seit Ausbruch der Kämpfe auf 132 gestiegen. 112 der Getöteten sind Palästinenser. Palästinenserpräsident Jassir Arafat reagierte unterdessen ungewöhnlich scharf auf Baraks Aussetzung des Friedensprozesses. Er habe von Barak nichts anderes erwartet. "Unser Volk schreitet weiter auf der Straße nach Jerusalem fort, der Hauptstadt unseres unabhängigen palästinensischen Staates." Ob Barak dies akzeptiere oder nicht - "lass ihn zur Hölle fahren", sagte Arafat. In einem Interview mit der saudischen Zeitung Al-Watan sagte Arafat, die arabischen Staaten hätten auf ihrer Sitzung in Kairo am Wochenende die Tür zum Frieden offen gelassen. Israel habe noch ein paar Wochen Zeit, um sich zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden. |