junge Welt, 25.10.2000 Koalition der Abschieber Anhörung in Berliner Abgeordnetenhaus: Ende der Abschiebehaft nicht auf der Tagesordnung Frau F. aus Georgien wurde mit ihrem 18 Monate alten Kind von professionellen Fluchthelfern ausgerechnet am Berliner Ostbahnhof ausgesetzt und lief prompt dem BGS in die Arme. Mutter und Kind wurden gewaltsam getrennt. Erst nach fünf Tagen durfte die schwer herzkranke Frau ihr Kind wiedersehen. Lange Zeit hoffte Frau F., in Deutschland bleiben zu können. Vergebens, letzten Freitag ist sie nach Georgien abgeschoben worden.« Nur einer von mehreren Fällen, den die als Flüchtlingsbetreuerin tätige Ordensschwester Lucie am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus vortrug. Vor ihr hatten Mitglieder des Beirats für Abschiebegewahrsam, einem Bündnis von Berliner Wohlfahrtsverbänden, über die oft unverhältnismäßig lange Haftdauer in Abschiebeknästen gesprochen. Gerade Jugendliche würden darunter besonders leiden. Daß diese schon alltäglichen Flüchtlingsschicksale überhaupt im Abgeordnetenhaus zur Sprache kamen, ist der PDS zu verdanken, die bereits 1998 eine Anhörung zur Berliner Abschiebepraxis beantragt hatte. Zwei Jahre wurde diese von der Regierungskoalition immer wieder hinausgezögert. Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) zeigte auch am Montag, was er von dem Thema hält. Eine Ausweitung der Beobachtung des Beirats auf die Arbeit der Ausländerbehörden und die für die Einweisung in die Abschiebehaft zuständige Schöneberger Justizbehörden lehnte er vehement ab. Zudem warf er den Flüchtlingsbetreuern Stimmungsmache vor. Mit Empörung in der Stimme wies der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, diese Vorwürfe als schäbig zurück. Wieland, der sich als Innensenator im Wartestand immer wieder als Werthebachs Gegenspieler profiliert, ging mit keinem Wort auf die Abschiebepolitik der Bundesregierung ein, an der seine Partei schließlich beteiligt ist. Als Sachverständiger war aus dem von SPD und Grünen regierten Nordrhein-Westfalen der Direktor des größten deutschen Abschiebegefängnisses in Büren geladen. Der war voll des Lobes für seine Anstalt, die er eine »gläserne Behörde« nannte. Er versuchte gar, die Kritiker des Abschiebegefängnisses zu integrieren: »Ich freue mich immer über Kritik. Die hilft mir, die eine oder andre Verbesserung umzusetzen.« Antirassistische Gruppen halten von derlei Vereinnahmungsversuchen wenig. »Die zahlreichen Selbstmordversuche, die Selbstverstümmelungen und die Isolierzellen in Büren kamen gar nicht oder nur ganz am Rande zur Sprache«, meinte eine Sprecherin der Antirassistischen Initiative (ARI) aus Berlin. Dabei gibt es gerade aktuell einen ganz akuten Fall. Ärzte sorgen sich um den Gesundheitszustand des in Büren inhaftieren kurdischen Flüchtlings Mehmet Kilic. Der ehemalige Teilnehmer des Wanderkirchenasyls befindet sich seit längerem in Hungerstreik und nimmt seit mehreren Tagen auch keine Flüssigkeit mehr zu sich. Obwohl der traumatisierte Flüchtling für nicht reisefähig erklärt wurde, soll er abgeschoben werden. Davon wollte Direktor Möller in Berlin aber nicht berichten. Mitte November soll die Anhörung fortgesetzt werden. Eines ist schon klar: Die geforderte Abschaffung der Abschiebehaft wird dort nicht auf der Tagesordnung stehen. Peter Nowak
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