Fuldaer Zeitung, 25.10.2000 Zerrissenheit einer Persönlichkeit Von unserem Mitarbeiter Wolfgang Hohmann Fulda Verfolgt und gefoltert in der Türkei, dann auf der Flucht vor der deutschen Justiz und schließlich ausgestattet mit Pass und Status einer "Asylberechtigten", wurde die 26-jährige Devrim Kaya nun herzlich willkommen geheißen zu Lesung und Gespräch im Luthersaal des Evangelischen Zentrums (Haus Oranien). In einer gemeinsamen Veranstaltung der Christuskirchengemeinde, der Evangelischen Studierenden Gemeinde und des Vereins Asylrecht ist Menschenrecht e.V. Fulda las die Autorin aus ihrem 1997 erschienenen Buch "Meine einzige Schuld ist, als Türkin geboren zu sein", dessen Untertitel "Eine junge Frau auf der Flucht vor türkischer Folter und deutscher Justiz treffend die beiden Pole der kurzen und von Leid geprüften Vita der jungen Frau kennzeichnet. Die von Günther Wallraff im Berichtsstil abgefasste "Chronik" schildert in 20 Kapiteln Lebensstationen der durch Geburt als Kurdin stigmatisierten Autorin. "Kurdin, was soll das schon wieder heißen? Kurden gibt es nicht in der Türkei", herrschte der staatstreue Lehrer die Grundschülerin Devrim an, die, in Deutschland geboren, als vom Vater unerwünschte Tochter zu Verwandten in die "Heimat" abgeschoben wurde. Aus der Verlesung ausgewählter Buchpassagen entsteht eine Vita, die die Zerrissenheit einer Persönlichkeit ebenso deutlich macht, wie sie die Anteilnahme und Betroffenheit des Publikums hervorruft. Zwischentexte werden von Professor Dr. Friedrich Blahusch vorgetragen. Aus der Unterdrückungssituation und der permanenten Diskriminierung durch die Repräsentanten der türkischen Staatsmacht entstehen jene revolutionären Gedanken und Aktionen, die Devrims Zurückweisung vom Abitur zur Folge haben, aber auch eine fast neunmonatige Haft inklusive Psychoterror und Folter durch "die wilden Bestien", wie sie die Schergen nennt: "Ich wusste jetzt, was es heißt, lebendig begraben zu sein", stellt das Opfer fest, das, an Händen und Füßen gefesselt, die Folterrituale und Torturen über sich ergehen lassen muss. Detailliert gibt Kaya Einzelheiten preis, über die sie, wie sie später im Gespräch erläutert, mit niemand habe sprechen können: "Es hat mich aber auch niemand danach gefragt." So traute sie sich nicht, von den Schlagstockhieben, der völligen Entkleidung "im kalten Gästezimmer" und dem "Bad in den Fäkalien" zu berichten oder zu sagen, dass einer ihrer Peiniger auf sie uriniert habe. "Irgendetwas in mir war durch die Folter zerbrochen", resümiert sie. Auf die Schilderung von Erlebnissen mit deutschen Bürokraten und deren Reaktionen auf 15-tägige Folter und fast neun Monate türkischer Haft beim Weg durch die Instanzen ("War das alles, oder haben Sie sonst noch etwas vorzubringen?") reagieren die Zuhörer mit erstaunter Ablehnung. Erfreut wird registriert, dass nach Nichtanerkennung des Asylanspruchs eine deutsche Tierärztin der verfolgten Kurdin "privates Asyl" für fast ein Jahr gewährt und schließlich Devrim Kaya vor Gericht zur staatlichen Anerkennung als Asylberechtigte hat verhelfen können. Die Autorin, die nach eigenem Bekunden "zwischen zwei Welten" lebt und kurz vor ihrem Realschulabschluss steht, distanzierte sich ausdrücklich in der von Ute Kohl, Pfarrerin der Evangelischen Studierenden Gemeinde, moderierten Diskussion von einigen Passagen des vom Herausgeber Wallraff geschriebenen Nachworts zu ihrem im Campus-Verlag erschienenen Buch.
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