junge Welt, 24.10.2000 Waffenforschung im Untergrund Bio-Waffen: BRD im Kreis der Länder mit Geheimforschungen dabei. Von Thomas Klein Nachdem durch einen Bericht der Welt am Sonntag (WamS) am Wochenende bekannt geworden ist, daß die Bundeswehr geheime Genforschung und Experimente mit potentiellen B- Waffen-Komponenten durchführt, sind nun Fragen nach Zweck und Ziel des Forschungsprogramms laut geworden. Das Bundesverteidigungsministerium erklärte lediglich, es gebe Studien, die zum Ziel hätten, biologische Kampfstoffe besser aufspüren zu können, wirksame Gegenmittel zu entwickeln und Bakterien gegen Antibiotika resistent zu machen. Derartige Studien würden »in enger Abstimmung mit den Verbündeten und der NATO« erstellt. Nach Angaben der US-Regierung gibt es weltweit etwa ein Dutzend Staaten, die entsprechende Studien durchführen und militärische B-Waffen-Forschung betreiben. Daß die USA mittlerweile führend bei dieser Forschung sind und offenkundig die Bundesrepublik zum kleinen Kreis der Länder gehört, die hier auch involviert sind, hat mit der weltpolitischen Entwicklung der letzten Jahre zu tun: In den siebziger und achtziger Jahren waren es in erster Linie die USA und die Sowjetunion, die sich der militärischen Nutzung von Mikroorganismen widmeten. Mindestens eine größere Katastrophe als Folge dieser Forschungen ist hier inzwischen bekannt: Im Frühjahr 1979 brach in Swerdlowsk (Ural) eine verherrende Milzbrandepidemie aus. In einer offiziellen Antwort auf die Anfrage der US-Regierung gab im März 1980 die Sowjet- Führung bekannt, verseuchtes Fleisch sei die Ursache der Epidemie gewesen. Die US-Regierung gab sich seinerzeit mit der Antwort aus Moskau zufrieden. Schließlich wollte sie angesichts eigener Geheimforschungen nicht allzuviel Staub in dieser Angelegenheit aufwirbeln. Erst 1992 räumte die russische Führung ein, daß es sich bei den Vorgängen in Swerdlowsk tatsächlich um einen Unfall in einem biologischen Labor gehandelt hatte. Klar ist: Seit Jahrzehnten wird vor allem in ehemals sowjetischen, jetzt russischen und in US-amerikanischen Forschungseinrichtungen mit dem Milzbrand-Erreger experimentiert. Nun auch in deutschen Labors, wie die jüngsten Meldungen belegen. Durch eine Milzbrandinfektion, die durch ein Bakterium hervorgerufen wird, können Menschen und Tiere innerhalb weniger Stunden oder Tage an atypischer Lungenentzündung, Kreislaufversagen und Atemlähmung sterben. Insgesamt ist durch den Fortschritt auf dem Gebiet der Biotechnologie seit den siebziger Jahren das Interesse der Militärs in vielen Ländern an dieser »Waffengattung« gewachsen. Das belegt anschaulich ein Zitat von J.D.Feith, ehemals stellvertretender Unterstaatssekretär im US- Verteidigungsministerium, der während der Regierungszeit des konservativen, gegenüber militärischen Aufrüstungsprogrammen stets positiv eingestellten Präsidenten Ronald Reagan ganz offen erklärte: »Wir haben unsere Ansicht über die militärische Nützlichkeit von B-Waffen geändert. Wir sagen jetzt, gestützt auf die neuen Technologien können biologische Waffen in der Tat ein großartiges Waffensystem sein.« Entsprechend wurde in den USA »für das großartige Waffensystem« B-Waffe die Förderung biologischer Projekte, die rein militärischer Natur waren, in der Amtszeit Reagans um über 400 Prozent erhöht, während gleichzeitig die Förderung ziviler Forschung in den Biowissenschaften absank. Wobei gerade in diesem Bereich ein Trennstrich zwischen ziviler und militärischer Forschung kaum gezogen werden kann. Während nach der internationalen Konvention von 1972 »ein Verbot der Entwicklung, Produktion und Lagerung bakteriologischer Waffen und Toxinwaffen sowie zur Vernichtung solcher Waffen« Gültigkeit besitzt, und dieses Abkommen von den meisten Staaten unterzeichnet wurde, ist gleichzeitig die Forschung, Entwicklung und Lagerung von Erregern für »Vorbeugung, Schutz oder sonstige friedliche Zwecke« nicht verboten. Mit dem Argument, Schutzforschung zu betreiben, wird auf Veranlassung von Militärs in den führenden Industrienationen der Welt die B-Waffen- Konvention ausgehebelt. Bedenklich ist, daß es keine tatsächlich unabhängige Institution in der Bundesrepublik gibt, die weiß, was unter dem Etikett »Schutzforschung« genau betrieben wird. Selbst das Parlament tappt hier, wie der jetzt bekannt gewordene Fall zeigt, weitgehend im dunkeln. Wer schon einmal versucht hat, nähere Informationen zu diesen militärischen Forschungsvorhaben und -institutionen zu erhalten, stößt schnell auf eine Mauer des Schweigens. Einig sind sich jedoch alle Experten darin, daß die offiziell gern verkündete Trennung zwischen offensiver und defensiver B-Waffen-Forschung- eine Vokabel, die augenblicklich vom Verteidigungsministerium gebraucht wird - gar nicht möglich ist. Denn die bei den Studien gewonnenen Erkenntnisse können je nach Intention sowohl zur Manipulation von Erregern für kriegerische Zwecke verwand werden wie auch zu medizinisch nutzbaren Zwecken, etwa der Entwicklung neuer Impfstoffe. Die Erfahrungen der USA und ihrer Verbündeter im 2. Golfkrieg haben gezeigt, wie wichtig es für das Militär werden kann, ob ein Staat über biologische Kampfstoffe verfügt. 1991 hatte die US-Regierung eine Warnliste mit 50 chemischen und biologischen Ausgangsstoffen erstellt, deren Ausfuhr in rund 50 Staaten nur mit einer Sondergenehmigung erfolgen konnte. Zu den Ländern gehörten auch Israel und die US-Verbündeten im Golfkrieg. Aber auch nach dem Golfkrieg kam es weiter zu dubiosen Exporten. So gingen zum Beispiel als Gefahrengut deklarierte Mykotoxine von Hannover per Luftfracht nach Bagdad. Das von der Firma Plato-Kühn aus Niedersachsen vermittelte Geschäft, bei der die Sigma Chemie aus Oberhaching bei München als Lieferant in Erscheinung trat, beschäftigte damals den Generalbundesanwalt. Das Verfahren gegen Kühn wurde aber wegen geringer Schuld gegen eine Zahlung von 25000 Mark eingestellt. Für die damalige Bundesregierung war die Lieferung von Mykotoxinen »ohne rechtliche Bedeutung« Die Ausfuhr kleiner Mengen unterliege weder dem Kriegswaffenkontroll- noch dem Außenwirtschaftsgesetz. Was nur zeigt, daß sich zum einen der hier anzutreffende Handel in einer rechtlichen Grauzone abspielt, und zum anderen die sogenannte Schutzforschung bisher ohne tatsächlich Kontrolle praktiziert wird. Angesichts der nun bekannt gewordenen Experimente bei der Bundeswehr fordert Dr. Jan van Aken, Projektleiter beim Sunshine Project, Hamburg: »Die Militärs im Westen geben sich besorgt über die russischen Arbeiten mit Milzbrand. Doch um eine internationale Ächtung gentechnischer Arbeiten an Biowaffen zu erreichen, müssen Bundeswehr und NATO mit gutem Beispiel vorangehen und die eigenen Arbeiten mit antibiotikaresistenten Erregern sofort stoppen.«
|