Süddeutsche Zeitung, 25.10.2000 Washington befürchtet neue Anschläge US-Truppen nach Terrordrohungen in Alarmbereitschaft Soldaten in der Golfregion besonders gefährdet / Israel und Palästinenser rechnen mit Gewalt-Eskalation in Nahost / Von Heiko Flottau Kairo - Die USA haben am Dienstag ihre in der Golfregion stationierten Truppen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Grund dafür sind Terrordrohungen offenbar aus dem Umfeld des mutmaßlichen Terroristenchefs Osama bin Laden. Als besonders gefährdet gilt nach Fernsehberichten der Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Süden der Türkei, von dem aus die nördliche Flugverbotszone im Irak kontrolliert wird. Am 12. Oktober waren bei einem Anschlag auf das Kriegsschiff Cole im Hafen der jemenitischen Stadt Aden 17 Menschen getötet worden. Ungeachtet der anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis erklärte US-Präsident Bill Clinton in Washington, er werde seine Vermittlungsbemühungen in Nahost unvermindert fortsetzen. In Jerusalem appellierte der israelische Premierminister Ehud Barak an Oppositionsführer Ariel Scharon, sich einer Notstandsregierung nicht zu verschließen. Barak warnte zugleich Palästinenserpräsident Jassir Arafat vor einer Fortsetzung seines Konfliktkurses. Nach einem Tag Unterbrechung ließ Israel den internationalen Flughafen in Gaza wieder in Betrieb gehen. Die israelische Armee richtet sich auf eine lange bewaffnete Auseinandersetzung mit den Palästinensern ein. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen würden "mindestens ein Jahr" dauern, sagte Generalstabschef Schaul Mofas. Ähnlich äußerte sich der palästinensische Geheimdienst-Chef im Westjordanland, Dschibril Radschub. "Ich fürchte, das Schlimmste kommt erst noch", sagte Radschub dem Stern. Am Dienstag erschossen israelische Soldaten am Grenzübergang Eres zwischen Israel und dem Gaza-Streifen einen 16 Jahre alten Palästinenser. Zuvor hatten hunderte Demonstranten die israelische Armee mit Steinen beworfen. Ein weiterer junger Palästinenser wurde bei Dschenin im Westjordanland erschossen. In der Stadt Beit Dschallah kam es zu neuerlichen Gefechten. Palästinenser schossen von dort aus auf die jüdische Siedlung Gilo; die Israelis antworteten mit Panzerbeschuss. Barak stößt unterdessen bei seinen Bemühungen zur Bildung einer Notstandsregierung auf großen Widerstand. Der Likud-Block fordert eine Regierungsbeteiligung "auf gleicher Basis" und ein Vetorecht für den Fall, dass Barak diplomatische Initiativen zur Belebung des Friedensprozesses unternimmt. Der Likud will dann auch Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten. Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach sich angesichts der Sicherheitslage für einen Eintritt des Likud in die Regierung aus. Arafat sucht indes um internationale Unterstützung nach. In einem Brief bat er Papst Johannes Paul II. um dessen persönliche Intervention. Der Generalsekretär der Palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde, Ahmed Abdel Rahman, forderte die christlichen Kirchen auf, die "Aggression Israels" zu verurteilen. Der Emir von Katar, Hamad Bin Khalifa el-Thani, rief die EU zu einem größeren Engagement auf. Hamad sagte, Frieden könne es nur geben, wenn er auf einer gerechten Lösung beruhe. Diese setze Israels Rückzug voraus.
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