Kölner Stadtanzeiger, 28.10.2000 Behörden unerbittlich Abschiebepraxis in NRW immer rigider Auch Kirchenasyl schützt nicht mehr Von Klaus Behne Köln - Kurzen Prozess machen Ausländerbehörden und Gerichte in NRW mit Teilnehmern am Kirchenasyl. Nachdem in der vorigen Woche Mehmet Kilic abgeschoben wurde, soll am Dienstag Hüseyin Calhan folgen. An dem "inhumanen Vorgehen" der NRW-Behörden ändert offenbar auch der offene Brief nichts, mit dem sechs NRW-Bundestagsabgeordnete von Grünen und PDS Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) ihre Bestürzung über die Abschiebung von Kilic aus dem Wanderkirchenasyl ausgedrückt hatten. Zu Übernahme bereit Der Aachener Oberbürgermeister Jürgen Linden erklärte in der "Aachener Zeitung": "Als wir die Nachricht von der Abschiebung bekamen, waren wir etwas vor den Kopf gestoßen, haben aber noch einmal bekräftigt, dass die Stadt Aachen zu einer Übernahme von Calhan bereit ist." Hilde Scheidt, Ratsfrau der Grünen in Aachen, machte deutlich: "Es sieht immer mehr so aus, dass hier ein Exempel statuiert werden soll." In den letzten Wochen war versucht worden, auf die Traumatisierung Calhans und die bestehende Suizidgefahr hinzuweisen. Andrea Genten, Flüchtlingsbeauftragte beim Bistum Aachen: "Ich befürchte eine weitere Traumatisierung für Calhan. Er soll in ein Land abgeschoben werden, in dem er schon einmal gefoltert worden ist." Im vergangenen Jahr seien 19 und in diesem Jahr 13 Fälle dokumentiert worden, wo Kurden nach der Abschiebung aus Deutschland in die Türkei in die Folterkeller gewandert sind, nachdem die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nachgelassen habe. Ein Gutachten des Gesundheitsamtes im Kreis Paderborn, das die Reisefähigkeit Calhans bescheinigt, wird allerdings stark angezweifelt. Entgegen den Vorschriften sei der ausstellende Arzt kein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, sondern lediglich Amtsarzt mit sozialpsychiatrischer Erfahrung. Calhans Anwältin Stephanie Boley-Lichtenberg hat einen Eilantrag am Verwaltungsgericht gestellt, dieses Gutachten für unzureichend zu erklären und einen Facharzt einzuschalten. Für die Nacht von Montag auf Dienstag planen verschiedene Gruppen vor dem größten Abschiebegefängnis Deutschlands in Büren eine Protestaktion mit "Politischem Nachtgebet" gegen die drohende Abschiebung Calhans und die "barbarische Abschiebepraxis in Nordrhein-Westfalen". "Sämtliche juristischen Mittel, zahllose Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, Demonstrationen und andere Versuche mehr haben die Abschiebungen bis jetzt nicht verhindern können, vielmehr wird die Abschiebepraxis verschärft", heißt es in dem Aufruf. In Büren seien bis zu 600 Menschen oft monatelang eingesperrt. "Verzweifelt und ohne öffentliches Gehör kämpfen sie gegen die Abschiebung in ihr Herkunftsland, oft nur noch unter Einsatz ihrer Gesundheit. Das letzte Mittel ist der Hungerstreik." 35 000 Abschiebungen Die Organisatoren der Protestkundgebung merken an, wer den "Aufstand der Anständigen" für sich in Anspruch nehme, müsse zuerst die Opfer der eigenen Politik in den Blick nehmen. Jedes Jahr schiebe Deutschland mehr als 35 000 Menschen in Länder ab, aus denen die meisten Betroffenen vor Hunger und Krieg, Verfolgung und Tod geflohen seien. Internationale Fluggesellschaften wie die Lufthansa stellten sich "als Handlanger" zur Verfügung. Mit der rumänischen Fluggesellschaft Tarom würden mit bewaffnetem Begleitpersonal wöchentlich Massenabschiebungen vom Flughafen Düsseldorf vollzogen. (kna) |