Wiesbadener Kurier, 28.10.2000 "Bei Abschiebung droht Folter" Hilfsorganisationen berichteten über Schicksale von Flüchtlingen Vom Von KURIER-Mitarbeiterin Aglaja Beyes-Corleis "Menschen auf der Flucht - Betroffene berichten", hieß die Veranstaltung, zu der mehrere Hilfsorganisationen in die Villa Clementine luden. Von den Betroffenen erschien nur eine junge iranische Frau, die aus Angst vor den Schergen in ihrer Heimat namentlich ungenannt bleiben wollte. "Es ist sehr schwierig, Flüchtlinge zu finden, die über ihr Schicksal sprechen", sagte Angela Schneider von amnesty international. Viele Herkunftsländer unterhielten Spitzel in Deutschland. Im Falle einer Abschiebung sähen sich die Betroffenen dann einer enormen Gefährdung ausgesetzt. Immer dicker werde die Akte dokumentierter Fälle von Flüchtlingen, die nach ihrer Abschiebung aus Deutschland vom Flughafen weg verhaftet und gefoltert werden, warnten die ai-Mitarbeiter. "Wer übernimmt die Verantwortung, dass abgeschobenen Kurden daheim nichts geschieht? fragte ai-Mitarbeiterin Ines Welge und rief zur Solidarität mit der im Versteck lebenden kurdischen Familie Akyüz auf. Widerlegt wurde das Stammtisch-Vorurteil, Asylbewerber kämen nur auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland. Familie Akyüz gehörte zu den wohlhabenden Bauernfamilien im Ort und musste nach Verhaftungen und Folterungen fliehen, erinnerte Welge. Und auch die iranische Zeugin erzählte: "Wir hatten ein gutes Leben im Iran." Ihr Mann war Arzt, und drei Generationen lebten miteinander. Sie rang nach Worten, um zu erzählen, was dann kam: Flucht mit zwei kleinen Kindern, die heute fragen: "Wo ist die Oma?" Seit zwei Jahren lebt die Familie in deutschen Flüchtlingslagern und Sammelunterkünften. Eines ihrer Kinder sei durch Enge und Lärm in der Sammelunterkunft ernsthaft erkrankt. Aber eine Wohnung dürfe sich die asylsuchende Familie, deren Verfahren derzeit beim Verwaltungsgericht anhängig ist, nicht nehmen. Gefragt nach dem Anhörungsverfahren, erzählte die Iranerin: "Sie haben mich immer wieder gefragt: Haben Sie mehr zu erklären? Haben Sie jetzt alles erklärt? Ein richtiges Interview war das nicht." Über die Schwierigkeit von Flüchtlingen, binnen weniger Tage alle Verfolgungsgründe und Geschehnisse zu erklären, können die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen ein Lied singen. Mary Weber vom Flüchtlingsrat erzählte von einer Frau, die sie betreut hatte und die während einer Anhörung in Ohnmacht fiel. "Wer Opfer von Folter und Misshandlung war, gehört nicht ins normale Asylverfahren", findet die amerikanische ai-Mitarbeiterin. "Auch bei den Opfern des Holocaust konnten viele erst sehr viel später oder gar nicht über das Erlebte sprechen", gibt Ines Welge vom Wiesbadener Flüchtlingsrat zu bedenken und mahnt an, beim heutigen Umgang mit Flüchtlingen daraus zu lernen. |