Neue Zürcher Zeitung (CH), 28.10.2000 Ankara kritisiert Israels Gewaltanwendung Erosion der bilateralen Beziehungen? Der blutige Konflikt in Palästina zwingt die Türkei dazu, ihre bisher uneingeschränkt proisraelische Politik im Nahen Osten zu überdenken. Die Vereinigten Staaten und Tel Aviv sind um die Zukunft der türkisch-israelischen Allianz besorgt. it. Istanbul, 27. Oktober Die amerikanische Aussenministerin Albright hat in einem Brief an ihren türkischen Amtskollegen Ismail Cem gegen die Nahostpolitik der Türkei heftig protestiert. Sie sei über das Verhaltender türkischen Delegation bei der letzten Abstimmung der Uno-Vollversammlung zu den Ereignissen in den besetzten Gebieten Palästinas «verbittert und schwer enttäuscht», soll Albright in ihrem Brief laut der türkischen Zeitung «Milliyet» vom Freitag unterstrichen haben. Bei der Abstimmung am 20. Oktober hatte die Türkei einer Resolution zugestimmt, welche die «exzessive Gewaltanwendung» der israelischen Truppen gegen palästinensische Zivilisten verurteilte. Washington habe erwartet, dass die türkische Delegation sich der Stimme enthalte oder während der Abstimmung einfach nicht anwesend sei, hiess es ferner in dem Brief. Militärische Zusammenarbeit Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel hatten sich 1993 normalisiert, als beide Länder nach einem Jahrzehnt der Abkühlung wieder Botschafter austauschten. Zuvor hatte die Türkei aus Protest gegen den israelischen Vormarsch in Libanon ihre Vertretung in Tel Aviv auf das Niveau des zweiten Sekretärs herabgestuft. Im Jahr 1996 erreichten die bilateralen Beziehungen ein neues Hoch, als die Armeen der beiden Staaten als Vorreiter einer Annäherung zwischen der muslimischen Türkei und dem jüdischen Israel eine Reihe von Abkommen für militärische und rüstungstechnische Zusammenarbeit unterzeichneten. Es folgten Abkommen über eine Zusammenarbeit im Bereich der Kultur, des Handels, der Landwirtschaft und des Tourismus. Die USA haben die Zusammenarbeit der beiden regionalen Mächte nach Kräften unterstützt. In Ankara und in Tel Aviv war damals oft von einer neuen «strategischen Allianz» in der Region des Vorderen Orients die Rede. Dieses ungetrübte Verhältnis wurde erstmals im letzten April überschattet, als zwei linke israelische Minister die Türkei aufriefen, den Genozidan den Armeniern anzuerkennen. Ankara reagierte verstimmt und liess ein Projekt zur Modernisierung von 170 türkischen Panzern des Typs M-60, das israelischen Firmen versprochen worden war, sofort annullieren. Abrücken von bisherigen Positionen |