junge Welt, 28.10.2000 Interview Was kann Berlin gegen die Irak-Sanktionen tun? jW sprach mit Nizar Hamdoon, stellvertretender Außenminister Iraks Nizar Hamdoon weilte diese Woche zu Gesprächen mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundestages und der deutschen Wirtschaft in Berlin. Hamdoon ist damit seit 1990 der höchste politische Repräsentant Bagdads, der die BRD besuchte. Am Freitag reiste der Spitzendiplomat weiter zu den Vereinten Nationen nach New York, wo derzeit über das Ersuchen Bagdads beraten wird, das irakische Öl künftig für Euro statt Dollar zu verkaufen. F: Kann man davon sprechen, daß die seit zehn Jahren andauernden Sanktionen gegen die Bevölkerung des Irak inzwischen zu einer »humanitären atastrophe« im Land geführt haben? Ganz eindeutig haben die Sanktionen zu einer humanitären Katastrophe geführt. Das Schlimme an ihnen ist, daß man sie nicht wahrnimmt. Sie morden leise und haben kein Gesicht. Auch wenn man es nicht im Fernsehen sieht, ist es ein Faktum: Massenhaft sterben Menschen an den Folgen der Blockade. Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen zufolge müssen jeden Monat alleine 5 000 Kinder sterben, weil notwendige Medikamente oder Nahrungsmittel fehlen. Es ist an der Zeit, daß hierfür eine Lösung gefunden wird. F: Die NATO hat im vergangenen Jahr einen Krieg gegen Jugoslawien geführt, um die angebliche humanitäre Katastrophe im Kosovo abzuwenden. Die gleichen Länder isolieren und blockieren Ihr Land, was zu einer tatsächlichen menschlichen Tragödie führt - mehr als ein doppelter Standard? Wir haben schon immer gesagt, daß in der Menschenrechtsfrage ein doppelter Standard existiert. Irak wurde von den USA herausgepickt und an den Pranger gestellt. Doch wenn man alleine die beiden Länder Irak und Israel in der Region bezüglich ihres Waffenarsenals vergleicht, wird deutlich, daß mit zweierlei Maß gemessen wird. Kosovo ist ein weiteres Beispiel, daß die USA keine gleichberechtige Herangehensweise bei den verschiedenen internationalen Problemen haben. F: Nur die USA? Gibt es diesen doppelten Standard nicht auch in der deutschen Politik? Deutschland ist Teil Europas und muß daher vorsichtig sein. Es kann keinen Alleingang wagen, sondern muß seine Politik mit den anderen Ländern abstimmen. Ich möchte daher nicht die Haltung einzelner Länder in der Frage der Sanktionen kritisieren. F: Könnte und sollte die rot-grüne Regierung dennoch nicht weit mehr hinsichtlich einer Überwindung der Irak-Blockade tun? Es ist immerhin eine Regierung, die sich explizit der Achtung der Menschenrechte verschrieben hat. Ja, natürlich. Hinsichtlich der menschlichen Dimension kann man tatsächlich erwarten, daß Deutschland viel mehr tut. Regierungsvertreter haben mir bei Gesprächen auch zugesagt, in dieser Frage tätig werden zu wollen. F: Bisher stellte sich das Auswärtige Amt auf den Standpunkt, Deutschland könne hinsichtlich einer Aufhebung des Embargos nicht viel unternehmen, da das Land nicht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten ist. Das ist richtig. Aber Deutschland ist ein wichtiges Land und könnte innerhalb der Europäischen Union eine entscheidene Rolle in der Sanktionsfrage spielen. Ich habe versucht, meine Gesprächspartner darauf aufmerksam zu machen, in diesem Bereich stärker zu wirken. F: Wie wichtig ist die Delegation der deutschen Wirtschaft, die im November Bagdad besuchen wird, im Vergleich etwa zu Kooperationspartnern in Frankreich? Für uns ist jede Delegation und jeder Besuch bedeutsam. Zu der Messe in Bagdad werden Firmen aus 50 Ländern erwartet, unter anderem auch aus Frankreich, Österreich, Rußland und Italien. F: Am vergangenen Wochenende waren Vertreter aus Bagdad beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Ägypten. Ist Irak damit wieder in die arabische Familie zurückgekehrt? Irak war immer Teil der arabischen Familie und wird es auch immer bleiben. F: Hat sich nach dem Treffen in Kairo auch das Verhältnis zu Ihren Nachbarn Saudi-Arabien und Kuwait verbessert? Wir haben nach wie vor keine Beziehungen zu den Saudis und Kuwaitis. Dies ist allerdings deren Entscheidung. Wir bedauern dies sehr und würden gerne wieder Beziehungen aufnehmen. Interview: Rüdiger Göbel |