Stuttgarter Zeitung, 28.10.2000 Kein Lächeln, keine Blumen Die liberalen Kräfte im Iran fühlen sich verschaukelt. Unter dem Druck der Fundamentalisten hat Präsident Khatami das Parlament entmachtet. Die Reformer wollen trotzdem friedlich bleiben. Von Ahmed Taheri, Teheran "Die bloßen Artigkeiten sind der Sache der Reformen nicht dienlich'', rügte unlängst der Verband der islamischen Studenten, eine der Hauptsäulen der Reformbewegung, Sayyed Mohammad Khatami. Der Staatspräsident hatte tagelang zu den Vorfällen in der Provinzstadt Khorramabad, wo es zwischen Schlägertruppen und Studenten zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen war, geschwiegen. Es ist das erste Mal, dass die jugendlichen Anhänger des Staatschefs an ihm Kritik üben. Seit seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Mai 1997 war Khatami das Idol der akademischen Jugend. Noch in Khorramabad trugen junge Frauen seine Bilder wie Ikonen vor sich her. Khatami, ein islamischer Intellektueller, galt als politischer Führer und geistiger Wegweiser zugleich. Mit einer neuen Lesart des Islam wollte er Religion und Demokratie im real existierenden Gottesstaat versöhnen. Aus der Trutzburg klerikaler Intoleranz sollte eine Hochburg islamischer Toleranz werden. "Er glaubt an das, was er sagt, darin liegt seine Popularität'', erläutert der Philosoph Abdulkarim Sorush. "Lächeln und Blumen'' war die Metapher der Reformer für gewaltfreien politischen Wandel. "Zwei Schritte vorwärts, einen zurück'', hieß ihre Devise für den Marsch durch die Institutionen. Die Reformbewegung erreichte ihren Höhepunkt bei den Parlamentswahlen im Februar dieses Jahres. Jetzt hatten die Reformer nicht nur die Exekutive, sondern auch die Legislative in der Hand, die bis dahin eine Bastion der Rechten gewesen war. Mit Bewunderung oder Neid schauten die Völker des Orients zu, wie ausgerechnet in der Wiege des islamischen Fundamentalismus die Aufklärung um sich griff. Doch es kam anders als erwartet. Die Rechten schlugen, unterstützt von der Justiz, zurück. Khatami nahe stehende Zeitungen wurden verboten, Journalisten landeten im Gefängnis. Widerstand leistete niemand, weil die Reformer meinten, das neue Parlament würde die Pressefreiheit erneut herstellen. Sie irrten sich. Im August verbot Ayatollah Khamenei dem Parlament, über ein liberales Presserecht zu debattieren. Das alte Gesetz habe sich als fähig erwiesen, die Islamische Republik vor ihren Feinden zu schützen. Mit dem Parlament waren somit auch Millionen von Bürgern, die es gewählt hatten, entmündigt worden. Seither sind die Reformer ratlos. Die Bewegung scheint in eine Sackgasse geraten zu sein. "Die Reformer werden weiterhin an aktiver Friedfertigkeit festhalten'', sagt der Studentenführer Ali Afshari. Aber längerfristig müsse das theokratische Prinzip des Staates überdacht werden. Eine Meinung, die viele Intellektuelle und junge Kleriker teilen. Die Islamische Republik Iran ist eine paradoxe Mischung aus republikanischen und islamischen Elementen. Die Verfassung ging aus einer Revolution hervor, an der so unterschiedliche politische Kräfte wie Islamisten, Nationalisten, Linke und säkulare Demokraten beteiligt waren. So betont die Verfassung, dass alle Macht vom Volke ausgeht. Sie garantiert freie Wahlen, freie Presse und freie Meinung, sofern sie mit den islamischen Grundsätzen vereinbar sind. Wer aber entscheidet, was islamisch ist? Zu Lebzeiten von Ayatollah Khomeini überdeckte sein gewaltiger Schatten die Antagonismen von Volkswillen und theokratischem Dogma. Nach dem Tod des charismatischen Revolutionsführers änderten seine Erben die Verfassung. Der neue Ayatollah Ali Khamenei wurde nicht nur mit dem Nimbus des Hüters der Rechtgläubigkeit, sondern auch mit den profanen Mitteln der Macht ausgestattet. Er ist der Befehlshaber der Streitkräfte und der paramilitärischen Garden. Er ernennt den Chef der Justiz und den Intendanten des staatlichen Funks und Fernsehens. Auch Teile des Geheimdienstes und der Polizei hören auf seinen Befehl. Was kann der weltliche Präsident Khatami angesichts dieser Übermacht ausrichten? Vielleicht mit seinen Erfolgen wuchern. Khatami, der angekündigt hat, für eine zweite Amtsperiode zu kandidieren, hat eine Reihe außenpolitischer Erfolge aufzuweisen. Die Beziehungen zu vielen Ländern im Nahen und Mittleren Osten haben sich entspannt. Der iranische Staatschef ist ein gern gesehener Gast in den Hauptstädten des Westens. Sein internationales Renommee wird seine Position im eigenen Land befestigen. Auch Teile der rechten Mullahs sind daran interessiert, dass Iran nicht erneut in die politische Isolation zurückfällt. Doch wie es mit den Reformen in der Islamischen Republik weitergeht, weiß niemand. Eines aber lässt sich voraussagen: dem schiitischen Gottesstaat stehen unerfreuliche Zeiten bevor. Die militanten Fundamentalisten werden alles versuchen, um eine Wiederwahl Khatamis bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2001 zu verhindern. |