junge Welt, 30.10.2000 Die Opfer im Blick Protestaktion gegen die drohende Abschiebung von Hüseyin Calhan: »Wir stellen uns quer« jW dokumentiert den Aufruf von Initiativen und Einzelpersonen zu einer Protestaktion vor dem Abschiebegefängnis Büren: Wir rufen auf zu Protestaktionen vor dem Abschiebegefängnis in Büren. Zwölf Stunden lang, von Montag, 30. Oktober 2000, 22 Uhr, bis Dienstag, 31. Oktober, 10 Uhr, versammeln wir uns vor den Toren des Gefängnisses. Wir treffen uns zu politischen Gebeten und Demonstrationen. Wir werden uns der drohenden Abschiebung von Hüseyin Calhan, Häftling in Büren, entgegenstellen. Und auch der Verschärfung der Abschiebepraxis in Nordrhein-Westfalen. (...) Vor fast drei Jahren begann das Wanderkirchenasyl in Nordrhein-Westfalen - der gemeinsame Kampf von Kirchen, Flüchtlingen und der Kampagne »kein mensch ist illegal« gegen die Verfolgung von illegalisierten Flüchtlingen und ihre Abschiebung. Nun scheint die Landesregierung das Wanderkirchenasyl end gültig beseitigen zu wollen. Sie verschärft ihre Abschiebepraxis - und alle juristischen Mittel, die zahllosen Gespräche mit Politikern und Politikerinnen oder unsere unermüdlichen Demonstrationen haben das nicht verhindern können. Erst vor wenigen Tagen, am 24. Oktober 2000, wurde Mehmet Kilic, ebenso wie Hüseyin Calhan Teilnehmer des Wanderkirchenasyls, in die Türkei abgeschoben. Der Bundeskanzler redet vom Aufstand der Anständigen. Doch wer diesen Appell ernst meint, sollte zunächst die Opfer der eigenen Politik im Blick haben. Jedes Jahr schiebt Deutschland mehr als 35 000 Menschen ab - in Länder, aus denen sie mit gutem Grund geflohen sind: vor Hunger und Krieg, vor Verfolgung oder Tod. Internationale Fluggesellschaften wie die LUFTHANSA stellen sich als Handlanger zur Verfügung, mit der rumänischen Fluggesellschaft TAROM werden wöchentliche Massenabschiebungen vom Flughafen Düsseldorf vollzogen - mit bewaffnetem Begleitpersonal. Hüseyin Calhan, der am Dienstag aus Büren abgeschoben werden soll, wurde in der Türkei wegen seines politischen Engagements mehrfach festgenommen und gefoltert. Seine Asylanträge wurden abgelehnt, seine letzte Zuflucht fand er im Wanderkirchenasyl. Bei zahlreichen Aktionen und Demonstrationen trat Hüseyin Calhan als Sprecher des Wanderkirchenasyls für ein generelles Bleiberecht und für eine friedliche Lösung des Kurdistan/Türkei-Konfliktes ein. Sein Name ist daher in der Türkei bekannter denn je. Bei einer Abschiebung droht ihm erneut Folter und vielleicht sogar der Tod. Wir stellen uns vor die Tore des größten Abschiebegefängnisses in Deutschland. In der umgebauten Kaserne außerhalb von Büren werden bis zu 600 Menschen oft monatelang eingesperrt. Sie sind Gefangene nur aus einem Grund: Ihre Inhaftnahme dient allein der Sicherung ihrer Abschiebung. Unter ihnen sind viele, die das Schicksal von Mehmet Kilic und Hüseyin Calhan teilen: Verzweifelt und ohne öffentliches Gehör kämpfen sie gegen die Abschiebung in ihr Herkunftsland und das oft unter Einsatz ihrer Gesundheit. Das letzte verbleibende Mittel ist der Hungerstreik. Abschiebungen mögen dem deutschen Asylrecht entsprechen, gerecht sind sie nicht. Erstunterzeichner des Aufrufs u.a.: G. Grass, Schriftsteller; G. Wallraff, Schriftsteller; D. Sölle, Schriftstellerin; F. Steffensky, Theologe; G. Diefenbach, Vorsitzender Aachener Friedenspreis; AG Arsch Huh Köln; Brings, Band aus Köln; R. Brings, Musiker, Köln; Klaus der Geiger, Musiker, Köln; J. Becker, Kabarettist; H.Pachl, Kabarettist; Ensemble der Stunk-Sitzung Köln: D. Jünnemann; T. Simon; H. Kieseier; D. Egelhaff; B. Wanninger; D. Dietzhold; A. Rixmann; M. Zielke, Schauspieler; Prof. Dr. A. Buro, Koordinator des Dialogkreises »Krieg in der Türkei«; Mehmet Sahin, Dialogkreis Köln; Fr. Derwehl, PEN-Club Belgien; P. Gingold (VVN/ BdA, Auschwitz-Komitee); H. Branscheidt, medico international; U. Lötzer, MdB PDS, Köln; U. Jelpke, MDB PDS; K. Menke, SPD, Bezirksvertretung Köln-Mülheim; A. Buntenbach, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Bielefeld; Superintendent E. Schubert, Kirchenkreis Köln/Mitte |