Frankfurter Rundschau 30.10.2000 Gegen rechts vertrat das Volk sich selbst Zehntausende machten Neonazis in Düsseldorf und Kassel zur verschwindenden Minderheit Von Reinhard Voss (Düsseldorf) Mehr als 30 000 Menschen haben am Samstag in Düsseldorf und Kassel gegen Rechtsextremismus und Rassenhass demonstriert. Am Rande des friedlichen Protests kam es zu Ausschreitungen und Festnahmen, als einige Demonstranten versuchten, die gleichzeitig stattfindenden Aufmärsche von Neonazis zu verhindern. Sie feierten sich selbst als "nationaler Widerstand", forderten "Nazis raus - aus dem Knast" und brüllten "Wir sind das Volk". Doch nicht diese knapp 300 überwiegend ganz jungen, meist glatzköpfigen Rechtsextremisten, sondern rund 25 000 Düsseldorfer Frauen und Männer repräsentierten an diesem grauen Oktobertag auf der bislang größten Demonstration in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt mit ihrer Kundgebung "Gegen rechte Gewalt" das Volk. Und mit zum Volk gehörten über 4000 Polizisten, die einige Mühe hatten, Mehrheit und Minderheit voneinander fern zu halten. Der Düsseldorfer Stadtsuperintendent Ernst-Jürgen Albrecht hatte nach dem bis heute noch immer nicht aufgeklärten Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge und der Ankündigung der Rechtsextremisten, an diesem 28. Oktober erneut in Düsseldorf marschieren zu wollen, die Idee gehabt, ein breites Bürgerbündnis gegen rechte Gewalt auf die Straße zu bringen. Albrechts Aufruf fand ein für ihn selbst überwältigendes Echo: Nahezu alle Vereine und Organisationen, die in der Landeshauptstadt Rang und Namen haben, kündigten an, mitzumachen und ihre Mitglieder zu mobilisieren. Als am Samstag um 11.45 Uhr die Glocken aller Düsseldorfer Kirchen zur Kundgebung riefen, zeigte sich, dass diese Ankündigungen keine leere Versprechen gewesen waren: Nur der Rosenmontagszug hat bisher mehr Menschen rund um den Markt- und den benachbarten Burgplatz zusammengebracht. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, war angesichts dieser Menschenmenge sichtlich bewegt über die Mitbürger seiner Heimatstadt. Sein Appell, dem braunen Terror nie wieder "aus Angst oder Gleichgültigkeit die Straßen zu überlassen", wurde zustimmend beklatscht. Ebenso wie seine Forderung an die Justiz, die Schändung jüdischer Friedhöfe oder Anschläge auf Synagogen nicht als "Lausbubenstreiche", sondern als "Gewaltverbrechen" zu würdigen und entsprechend zu ahnden. Mit dem Begriff "deutsche Leitkultur" könne er nichts anfangen, sagte Spiegel. Die Gesellschaft brauche auch keine Belehrung über "nützliche Ausländer" und solche, die die Gesellschaft ausnützten. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) legte als Hauptredner der Kundgebung besonderes Gewicht auf den Kampf gegen den Antisemitismus, "den es in unserem Land nie wieder geben darf". Mit einem Verbot der rechtsextremistischen NPD sei das allein nicht getan, meinte er. Vielmehr müssten auch alle anderen rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen unter diesem Gesichtspunkt genau überprüft werden. Drastischer formulierte Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU): "Der rechtsextreme Dreck muss weg." Das kleine Häufchen der Glatzen, deren Demonstration ein NPD-Funktionär aus dem benachbarten Dormagen angemeldet hatte, zog derweil in sicherem Abstand unter massiver Polizeiabschirmung am Rheinufer entlang zum Innenministerium. Die Polizei zwang den Demonstrationszug mehrfach zu langen Pausen, um zu gewährleisten, dass es nicht zu Zusammenstößen mit den so genannten Autonomen kam. Die versuchten an mehreren Stellen, die Polizeiketten zu durchbrechen, um ihrer Forderung "Nazis raus" nach Möglichkeit handfest Nachdruck zu verleihen. Das konnte die Polizei auch durch die Festnahme von mehr als rund 200 Gegendemonstranten verhindern. Dabei wurden drei Polizisten verletzt. In Kassel wurde die Zahl der Demonstranten auf etwa 7000 geschätzt. Sie protestierten gegen einen Aufmarsch von 70 bis 80 Rechtsextremisten. Auch hier kam es vereinzelt zu Ausschreitungen. |