Die Presse (A) 31.10.2000
Neue Dörfer für Kurden: Ankara startet große Rücksiedlungsaktion
Die türkische Regierung versucht, im Südosten des Landes
Flüchtlinge in Wehrdörfern anzusiedeln. Ein Lokalaugenschein.
Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN (DIYARBAKIR)
Mehr als anderthalb Jahre nach der Gefangennahme von PKK-Chef Abdullah
Öcalan und dem Rückzug der Kurdischen Arbeiterpartei PKK gibt
es in den Kurdengebieten der Türkei kaum noch Kämpfe. Der türkische
Ministerpräsident Bülent Ecevit posaunt nun hinaus, er wolle
diese Gelegenheit nützen, um die während des Konfliktes zerstörten
Dörfer wiederaufzubauen. Ecevits Dorf-Stadt-Projekt soll eine ganz
neue Siedlungsform hervorbringen: Durch die Zusammenlegung mehrerer alter
Dörfer entstehen Siedlungen, die ihren Bewohnern mehr staatliche
Dienstleistungen bieten können. Jedes dieser neuen Dörfer hat
eine Schule und eine Polizeiwache. Doch nicht alle Kurden sind über
das Projekt erfreut. Viele kritisieren, daß die neuen Dörfer
nicht nach ökonomischen Erfordernissen, sondern nach strategischen
Gesichtspunkten angelegt würden. Der Krieg der türkischen Sicherheitskräfte
gegen die PKK hat zahlreiche Kurden in die Flucht getrieben. Viele davon
strandeten in Diyarbakir. In einem Garten in einem Vorort der südosttürkischen
Stadt sitzt eine Gruppe Kurden und trinkt Kaffee. Die meisten Anwesenden
sind kurdische Bauern aus der Gegend von Silvan und Kulp, die nun als
Bauarbeiter in Diyarbakir arbeiten.
Morgens seien Soldaten gekommen, hätten sie gezwungen, die Häuser
zu verlassen und die Gebäude dann angezündet, berichtet eine
50-jährige Frau von ihrem Schicksal. Den Hausrat, den die Frauen
retten wollten, hätten die Bewaffneten in die Flammen geworfen. Auch
die Obstplantagen hätten die Soldaten zerstört.
"Wir sind Kurden, ich möchte auf jedem Amt sagen können,
daß ich Kurde bin, ich möchte in der Schule, im Krankenhaus
und in der Moschee Kurdisch sprechen können", wettert ein Bauer.
Ein Mann um die Vierzig, mit pockennarbigem Gesicht und städtischer
Kleidung, beginnt, politische Vorträge zu halten. Der Stil seines
Monologes erweckt rasch den Verdacht, daß er über weite Strecken
einfach wiederholt, was er in den Schriften des mittlerweile im Gefängnis
sitzenden PKK-Chefs Öcalan gelesen hat.
Öcalan sei der größte Friedensstifter, den es je gegeben
habe, behauptet der Mann. Mit Vorträgen über die Friedensliebe
Öcalans und der PKK ist es rasch vorbei, wenn die Sprache auf eine
andere kurdische Partei kommt. Die Feststellung, daß es nun auch
Kurden gebe, die sagten, Öcalan habe sich im Gefängnis zum Sprecher
des türkischen Staates gewandelt, sorgt für Empörung. Die
Wortführer in der Diskussion im Garten schieben diese Aussage sofort
einer bestimmten kurdischen Fraktion zu, an der sie kein gutes Haar lassen.
Das Dorf Kusdami, etwa einen Kilometer entfernt von der Kleinstadt Hazro,
ist Schauplatz eines der Rücksiedlungsprojekte, die nun von der türkischen
Regierung forciert werden. Kusdami liegt auf einer Anhöhe und besteht
aus elf neu errichteten Häusern. Die Männer des Weilers sind
Angehörige der von Ankara organisierten Miliz der Dorfschützer.
Für ihren Dienst erhalten sie ein monatliches Gehalt von knapp 2.100
Schilling (152,6 Euro).
Flucht vor PKK
"Jeder Schuhputzer verdient mehr," schimpft einer der Dorfschützer.
In der ländlichen Region kann man mit diesem Sold aber leicht auskommen.
Ihr früheres Dorf haben die Bewohner von Kusdami vor acht Jahren
verlassen - laut ihren Angaben aus Angst vor der PKK.
Kusdami liegt wenige hundert Meter von der Hauptstraße entfernt,
in einer strategisch günstigen Lage. Doch die Bewohner von Kusdami
verneinen, daß man sie aus militärischen Überlegungen
überredet habe, nicht wieder an der alten Stelle zu siedeln. Sie
finden den jetzigen Platz einfach viel geeigneter. Der Staat hat ihnen
das Baumaterial gegeben und sie haben damit selbst die Häuser errichtet.
Nur wenige kurdische Stämme wagen es, keine Dorfschützer zu
stellen. Einer von ihnen ist der Stamm der Beritan. Er schaffte es in
der Vergangenheit, sowohl von Ankara als auch der PKK als neutral betrachtet
zu werden. Der Chef der Beritan, Fazil Yazici, bezweifelt den Erfolg von
Ecevits Dorf-Stadt-Projekt. Man müsse die Leute dorthin zurücksiedeln,
wo ihre Felder liegen und ihre alten Dörfer wieder aufbauen. "Wenn
das geschieht, wird das Rücksiedelungsprojekt erfolgreich sein, andernfalls
wird es scheitern."
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