Frankfurter Rundschau 31.10.2000 Israels Armee verschärft Attacken Premier Barak hält an Friedensoption fest / Schröder mahnt Konfliktparteien Im Konflikt mit den Palästinensern will die israelische Armee ihre Taktik ändern und mit kleinen Einheiten offensiv gegen die Aufständischen vorgehen. Israels Premierminister Ehud Barak lehnt eine große Koalition ab, wenn damit künftige Friedensverhandlungen blockiert werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder rief während seiner Reise durch den Nahen Osten am Montag die Konfliktparteien dazu auf, ihre Verhandlungen wieder aufzunehmen. JERUSALEM/AMMAN, 30. Oktober (dpa/afp/geg). Die israelische Armee will stärker den bewaffneten Arm der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Yassir Arafat bekämpfen. "Die Armee wird sich nicht mehr auf eine Politik der Gegenangriffe beschränken, sondern die Initiative ergreifen. Das Ziel ist die Tansim-Miliz", sagte Generalstabschef Schaul Mofas nach einem Bericht des staatlichen Fernsehens. Nach israelischen Angaben zählt die Tansim-Miliz zwischen 3000 und 6000 Mitglieder, unter ihnen viele palästinensische Jugendliche, die in den vergangenen Wochen immer wieder in die Straßenkämpfe mit israelischen Soldaten verwickelt waren. In Ostjerusalem schoss am Montag nach Polizeiangaben ein Mann auf zwei israelische Wachleute. Einer der Männer erlag später seinen Verletzungen. In Gilo im Osten Jerusalems wurde ein jüdischer Siedler erstochen aufgefunden. Auch im Westjordanland und im Gaza-Streifen lieferten sich Palästinenser und die israelische Armee wieder Straßengefechte. Israelische Panzer eröffneten nach Augenzeugenberichten das Feuer auf die Palästinenserstadt Rafah im Süden des Gaza-Streifens unweit der Grenze zu Ägypten. Die Armee verhängte über die Stadt Jericho den Belagerungszustand. Trotz seines Appells für eine nationale Einheit will Israels Regierungschef Barak keine große Koalition mit dem oppositionellen Likud, die künftige Friedensverhandlungen beschneidet. In einer stürmischen Sitzung der Knesset, der ersten nach dreimonatiger Parlamentspause, warf der Regierungschef den Palästinensern zwar Vertragsbruch vor. Er wies die Schuld für die erneuten Unruhen in den Autonomiegebieten allein Arafat zu. Dennoch stehe er selbst, so Barak, zu der Abmachung von Scharm el-Scheich über einen Gewaltverzicht. Sollte US-Präsident Bill Clinton einen neuen Vermittlungsversuch starten, "ist es unsere Pflicht, eine solche Einladung anzunehmen". Der Likud-Führer Ariel Scharon reagierte darauf in scharfen Worten. Schon in seinen Gesprächen mit Barak habe er entdecken müssen, dass der Premier noch immer am Friedenskonzept von Camp David festhalte. "Ich kann kein Partner dieser Politik sein", sagte Scharon. So wichtig die Bildung einer Notstands-Regierung sei, betonte der Oppositionsführer, unterstütze er weder den Plan für eine "Teilung Jerusalems" noch die Aufgabe des Jordantals. In seiner Regierungserklärung hatte Barak eher die Krisenlage bilanziert als einen neuen Kurs bestimmt. Die israelische Mehrheit sei überzeugt, sagte er, "dass wir keinen Verhandlungspartner mehr haben", seitdem die Palästinenser die Gewaltoption gewählt hätten. Den Gipfel von Camp David bezeichnete er als Test, den die palästinensische Seite nicht bestanden habe. Der bisherige Kurs müsse daher neu bewertet werden, rechtfertigte Barak "die Auszeit" im Friedensprozess. Arafat müsse wissen, dass es "einen Preis für Gewalt nicht geben wird". Dennoch verteidigte der Premier die weitere Suche nach einem Kompromiss. Die Palästinenser sollten wissen, dass "wir bereit sind, einige ihrer Träume zu erlauben, selbst zu einem hohen Preis", sagte der Regierungschef. Bundeskanzler Schröder besucht am heutigen Dienstag Israel. Von Jordanien aus rief er am Montag beide Konfliktparteien zu Verhandlungen auf. In Beirut bat ihn die Führungsspitze des Libanon darum, in dem Konflikt wegen der entführten israelischen Soldaten zu vermitteln. Für den Kanzler gilt der Grundsatz, sich im Nahen Osten nicht einzumischen. Aus der deutschen Delegation hieß es, Schröder könne als Vermittler in dem Fall hilfreich sein, wenn dies alle beteiligte Parteien wünschten.
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