Süddeutsche Zeitung 31.10.2000

Israel kündigt Offensive gegen Palästinenser an

Militär will Sonderkommandos einsetzen / Israeli in Ostjerusalem erschossen / Barak entgeht Misstrauensanträgen / Von Petra Steinberger


Jerusalem – Die israelische Armee hat angekündigt, nicht mehr nur auf palästinensische Angriffe zu reagieren, sondern selbst die Initiative zu ergreifen. Das sagte der Vize-Verteidigungsminister Ephraim Sneh im israelischen Militärrundfunk. Generalstabschef Shaul Mofaz hatte zuvor die neue Strategie der Armee erläutert, wonach man einerseits Panzer aus umkämpften Orten wie der Karni-Kreuzung in Gaza zurückziehen wolle, gleichzeitig in den besetzten Gebieten aber im Guerillakampf ausgebildete Elite- und Undercover-Einheiten einsetzen werde, um jene Palästinenser zu kontrollieren und zu verhaften, die für gewaltsame Demonstrationen und Schusswechsel mit der israelischen Armee verantwortlich gemacht werden. Die Armee sei davon überzeugt, hieß es in der israelischen Zeitung Haaretz, dass es zu terroristischen Anschlägen kommen könne. Im Norden Israels, vor allem in der Gegend um Har Dov, plane die libanesische Hisbollah-Miliz vermutlich Anschläge oder Entführungen von Soldaten. Ephraim Sneh warnte den syrischen Präsidenten Baschar el-Assad vor einer scharfen Reaktion Israels, sollte es zu neuen Terroranschlägen der von Syrien unterstützten Hisbollah kommen.

Die Zahl der Toten seit Beginn der Unruhen stieg unterdessen auf 143. Am Montag kam es zu Übergriffen, die auf ein mögliches Ansteigen von Attacken auf Einzelpersonen und Zivilisten hindeuten. Im arabischen Ostjerusalem schoss ein Palästinenser auf zwei israelische Wachleute – einer von ihnen starb im Krankenhaus. Es war das erste Mal seit Beginn des palästinensischen Aufstandes, dass Israelis in Jerusalem angegriffen wurden. Zuvor war zwischen Gilo, einer israelischen Siedlung bei Jerusalem, und dem palästinensischen Dorf Beit Dschala die Leiche eines erstochenen Israelis entdeckt worden, der nach Angaben der israelischen Polizei vermutlich von Palästinensern ermordet worden ist. Zwischen Gilo und Beit Dschala war es in den letzten Wochen immer wieder zu Feuergefechten gekommen, nachdem Palästinenser die Siedlung von Beit Dschala aus beschossen hatten. In der Nähe der Ortschaft Jabed im Westjordanland wurde die Leiche eines Palästinensers entdeckt, der nach Angaben palästinensischer Ärzte vermutlich bei einem Feuergefecht mit israelischen Soldaten durch einen Kopfschuss getötet worden ist. Der Ausbau von jüdischen Siedlungen in Ostjerusalem und der Westbank wird derweil weiter vorangetrieben: Am Donnerstag will die Jerusalemer Stadtverwaltung über einen Ausbau der heftig umstrittenen Siedlung Har Homa beraten, auch über eine Ausweitung Gilos und den Neubau einer weiteren jüdischen Siedlung bei Abu Dis, dem vorgeschlagenen zukünftigen Sitz einer palästinensischen Regierung. Das israelische Parlament trat unterdessen erstmals nach der Sommerpause wieder zusammen. Parlamentssprecher Avraham Burg hatte die Anfrage eines arabischen Abgeordneten abgewiesen, zu Beginn eine Schweigeminute für die 13 arabischen Israelis einzulegen, die in den ersten Tagen der Unruhen getötet worden sind. Während die Verhandlungen zwischen Premierminister Ehud Barak und dem rechtsgerichteten Likud-Chef Ariel Scharon über eine Koalition zur Bildung einer Nationalen Einheitsregierung bisher kein Ergebnis brachten, ist Barak nicht unmittelbar von einem Sturz bedroht. Zwei Misstrauensanträge wurden in der Knesset von der Tagesordnung genommen. Palästinenser-Präsident Jassir Arafat traf unterdessen in Scharm el-Scheich den ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak, um über die Unruhen und den Stillstand des Friedensprozesses zu sprechen. Der PLO-Zentralrat werde am 15. November zusammentreten, sagte Arafat nach dem Treffen.