junge Welt, 01.11.2000 Mediales Sperrfeuer Britischer Journalist beklagt strukturelle Amnesie und Zensur bei Nahost-Berichterstattung Einer den bekanntesten und kompetentesten Nahost- Korrespondenten machte am Wochenende im britischen »Independent« auf die strukturelle Amnesie und Gleichschaltung eines Großteils seiner Kollegen aufmerksam, wenn es um den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern geht. Robert Fisk fragt sich, ob die Mainstream-Reporter keine Bücher über die Geschichte der Region oder zumindest kurze Aktennotizen darüber besäßen. Sie könnten dort eventuell nachlesen, was sie beim letzten israelisch-arabischen Krieg geschrieben hätten, und feststellen, daß ihre heutigen klischeehaften Statements dem oft wörtlich entsprächen. 1982 fand der Libanon-Krieg statt. Die Vereinten Nationen hatten einen Waffenstillstand zwischen Arafats PLO und Israel vermittelt. Nachdem jedoch in London ein Palästinenser versucht hatte, den israelischen Botschafter umzubringen, bombardierte die israelische Luftwaffe Stellungen von Arafats Leuten im Libanon. Nach tagelangem israelischen Angriff wurden vom Libanon aus die ersten Katjuscha-Raketen auf Israel geschossen. In der Folge marschierten israelische Truppen in den Libanon ein - als Antwort auf die »terroristischen Angriffe« - und forderten Arafat auf, »seine Leute zu kontrollieren«. Nachdem die Straßen und Krankenhäuser voll von palästinensischen Verwundeten und Leichen lagen - überwiegend Zivilisten, darunter viele Kinder mit Verbrennungen durch Phosphorbomben - fragte Israel, weshalb sich die »Terroristen«, mit denen natürlich immer noch die palästinensischen Kämpfer gemeint waren, hinter den Zivilisten versteckten und Kinder im Krieg benutzten. »Und pflichtgemäß«, so Fisk, »schlossen sich 1982 die meisten Journalisten der von den Amerikanern und Israelis ausgegebenen Sprachregelung an, genauso wie sie das heute tun. Wie üblich werden für das Abschlachten palästinensischer Kinder die Palästinenser verantwortlich gemacht. Der Tod arabischer Zivilisten ist die Schuld der Araber. Arafat kann >seine Leute nicht kontrollieren<. Araber werden zu >Terroristen< erklärt - im Gegensatz zu den Leuten, die arabische Zivilisten und Kinder umbringen, deren Tod natürlich in die Verantwortung ihrer eigenen leidenden Eltern fällt.« Während die Propagandalügen der von Fisk als »korrupt und bestechlich » bezeichneten palästinensische PLO- Funktionäre, die 1982 ihren Kleinstaat im Libanon und im Jahre 2000 ein entsprechendes Gebilde in Palästina zu beherrschen versuchen, ohnehin allzu durchsichtig seien und ihre Arbeit heute alleine schon deshalb wirkungslos sei, weil bis auf Hanan Ashrawi keiner der vom Arafat-Klüngel aufgebotenen Sprecher auch nur verständliches Englisch sprechen könne, hilft die zionistische Seite dort effektiv nach, wo es noch notwendig ist. Nachdem sich Israel über eine angeblich proarabische Presse im Westen beschwert hatte, habe es zum Beispiel die »New York imes« einer zionistischen Lobby-Gruppe erlaubt, ihre Nahost-Berichterstattung zu überwachen. Auf diese Weise etwa wurde der Begriff »wahllos« aus einem Bericht des Journalisten Tom Friedman über den israelischen Artilleriebeschuß palästinensischer Orte gestrichen. Als Israel 1982 - übrigens wesentlich auf Initiative von Ariel Scharon hin - seine christlichen Verbündeten in den palästinensischen Flüchtlingeslagern Sabra und Shatila bis zu 2 000 Zivilisten massakrieren ließ, sah man sich in Tel Aviv nicht etwa zu einem Schuldeingeständnis genötigt, sondern bezeichnete Presseberichte darüber als »antisemitisch«. Heute lese man in der Presse dauernd von Israels »harter Antwort«, »robuster« Aktion und »Zurückhaltung«. Die Reaktion der Presse wäre im Falle von Ländern wie Serbien und Indonesien eine völlig andere. »Nein die Israelis sind nicht die Serben, und sie sind auch nicht die indonesische Armee«, so Robert Fisk. »Aber Journalisten sind immer noch dieselben. So ängstlich, eine >Kontroverse< zu erzeugen, wenn sie entsprechend echter journalistischer Standards die Wahrheit berichteten, so unentschlossen, daß sie verkünden müssen, daß der zwölfjährige Palästinenser, der von Israelis in Gaza erschossen wurde >im Kreuzfeuer< getötet wurde.« Anton Holberg |