Neue Zürcher Zeitung (CH), 1. November 2000
Israelische Helikopterangriffe gegen Arafats Fatah
Die Autonomiebehörde fordert internationalen Schutz - Schröder
bei Barak
Israelische Kampfhelikopter haben verschiedene Gebäude der Fatah-Bewegung
Arafats in Cisjordanien und im Gazastreifen bombardiert. Die palästinensische
Autonomiebehörde fordert unterdessen von der Uno, der EU und der
arabischen Welt Schutz.
vk. Limassol, 31. Oktober
Die israelische Luftwaffe hat in der Nacht auf Dienstag erneut palästinensische
Niederlassungen mit Raketen angegriffen. Israelische Armeesprecher rechtfertigten
die Angriffe als Vergeltungfür die Ermordung dreier Israeli durch
Palästinenser in den letzten Tagen. Die Raketenangriffe betrafen
Büros der Fatah-Bewegung in al-Bireh, Nablus und Khan Yunis sowie
einen Stützpunkt der Brigade 17 im Gazastreifen. Dort verbergen sich
nach Erklärung der Israeli jene Verantwortlichen, welche die Palästinenser
zur Gewalt anstacheln. Als einen dieser Männer hatten die israelischen
Nachrichtendienste Marwan al-Barghouti identifiziert, den Leiter der Fatah-Bewegung
in Cisjordanien. Das Oberhaupt der Fatah und der Brigade 17 ist Yasir
Arafat.
Ein CNN-Korrespondent angeschossen
Das israelische Vorgehen liegt auf der Linie von Ministerpräsident
Baraks behelfsmässiger Behauptung, Arafat könne ganz allein
ein Aufflammen oder Ende der Intifada anordnen. In Tatund Wahrheit bricht
nach einem Monat der blutigen Unterdrückung der Zorn der Palästinenser
mitunter in hinterhältigen Bluttaten aus, wie schon bei dem Lynchmord
an zwei Israeli mitten in Ramallah. Damit verschärft sich erneut
das israelische Problem, wie die physische Sicherheit der mehr als 150
000 jüdischen Siedler in Cisjordanien und im Gazastreifen zu wahren
ist.
Fortsetzung der Strassenproteste
Nach dieser zweiten Welle von Luftangriffen seit dem Beginn der Aksa-Intifada
rief die palästinensische Autonomiebehörde am Dienstagmorgen
nach internationalem Schutz. Sie forderte dieUno, die EU und die arabische
Welt zu praktischen Schritten auf, um Israel in die Schranken zu weisen.
Die Strassenproteste gingen am Dienstag vor allem östlich der Stadt
Gaza, beim Übergang von Muntar/Karnei, weiter. Die Demonstranten
rannten dort gegen einen israelischen Stützpunkt an, der zugunsten
der jüdischen Siedler von Netzarim eine wichtige Nord-Süd-Achse
für den palästinensischen Zivilverkehr geschlossen hat. Die
Israeli feuerten unter anderem aus Panzern auf die Demonstranten; dabei
wurde nach Darstellung eines palästinensischen Journalisten dem CNN-Korrespondenten
Ben Wedeman in den Bauch geschossen. Die CNN teilte den Zwischenfall mit,
ohne die Herkunft der Schüsse zu klären.Drei Palästinenser
kamen ums Leben, und mindestens neunzehn wurden verwundet. Die Israeliverlängerten
auch die Schliessung des Zivilflughafens von Gaza um einen weiteren Tag.
Deshalbmusste ein marokkanisches Flugzeug mit medizinischen Hilfsgütern
in die ägyptische Stadt al-Arish im Sinai umgeleitet werden.
Schwere Vorwürfe Arafats
Jerusalem, 31. Okt. (ap) Der Chef der palästinensischen Autonomieregierung,
Arafat, hat sich am Dienstag empört über die israelischen Angriffe
geäussert. Damit werde die Entschlossenheit der jungen Palästinenser
nicht gebrochen, sagte Arafat bei der Besichtigung deszerstörten
Hauptquartiers seiner Präsidentengarde in Khan Yunis. Bei den Angriffen
wurden auch der Tempel und Büroräume der oberhalb von Nablus
lebenden Samariter schwer beschädigt. Die bereits in der Bibel erwähnten
Samariter bilden eine Abspaltung vom Judentum. Rund 600 von ihnen leben
in zwei Gemeinden bei Nablus und in Israel.
gsz. Jerusalem, 31. Oktober
Schröder in Israel
Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder ist am Dienstag im Rahmen
einer noch vor Ausbruch der jüngsten Unruhen geplanten Tour durch
die Region zu einer eintägigen Visite in Israel eingetroffen. Vorher
hatte er schon Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien besucht. Er
wurde von seiner Frau, einer Delegation von Bundestagsabgeordneten und
einem Tross von Journalisten begleitet. Israel misst dem Besuch grosse
Bedeutung bei und unterstrich, dass die Visite die Freundschaft zwischen
den beiden Ländern zum Ausdruck bringe. Mittags wurde der Kanzler
von Präsident Katsav zu einem Essen empfangen. Es folgte ein Arbeitstreffen
mit Ministerpräsident Barak. Dieser bat den Gast um Unterstützung
bei den Bemühungen, den in Cisjordanien und im Gazastreifen tobenden
Gewalttätigkeiten ein Ende zu bereiten. Ausserdem bater um den Beistand
Deutschlands zur Verhinderung einer etwaigen unilateralen Staatserklärung
der Palästinenser am 15. November.
Bei einer Pressekonferenz erklärte der Kanzler, dass sein Land bereit
sei, alles zu tun, um die Freiheit für die drei aus Nordisrael nach
Libanon verschleppten Soldaten wiederzuerlangen. Er warnte jedoch vor
einer Überschätzung der Möglichkeiten Deutschlands. In
Bezug auf die israelisch-palästinensischen Zusammenstösse meinte
Schröder, dass den Gewalttätigkeiten auf der Basis der Abkommen
von Sharm ash-Sheikh ein Ende gesetzt werden müsse und dass die Friedensverhandlungen
wieder aufgenommen werden sollten.
Am späten Nachmittag legte Schröder beim Grabe des ermordeten
Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin einen Kranz nieder. Es folgte ein
Besuch im Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem.Ein Treffen mit PLO-Führer
Yasir Arafat in Bethlehem steht für Mittwoch auf dem Programm.
Peres soll Arafat treffen
Jerusalem, 31. Okt. (Reuters) Der israelische Beauftragte für regionale
Zusammenarbeit und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres wird nach
israelischen Angaben am Dienstag oder Mittwoch in Gaza Stadt mit Palästinenserpräsident
Arafat zusammentreffen. Ein israelischer Regierungssprecher sagte am Dienstag
anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Schröder in Jerusalem,
Peres habe in dieser Frage Ministerpräsident Barak konsultiert. Es
sei nicht auszuschliessen, dass Peres bei dem Treffen Arafat eine Botschaft
Baraks übermitteln werde. Peres ist einer der letzten Israeli, die
mit Arafat zur Sache sprechen können. Zwischen Barak und Arafat gebe
es dagegen keine «positive Chemie» mehr.
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