Die Welt, 1.11.2000 Der "Kalif von Köln" bekommt bald seine Strafe Generalbundesanwalt deutet Kaplans fundamentalistischen "Staat" als terroristische Vereinigung - Urteil Mitte November Von Hans Werner Loose Düsseldorf - Neun Monate nach Prozessauftakt vor dem Staatsschutzsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts hörten 70 Anhänger des "Kalifen von Köln" gestern das Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft warf am 54. Verhandlungstag Metin Kaplan (48) und den beiden Mitangeklagten vor, einen Gottesstaat errichten zu wollen. Oberstaatsanwalt Volker Brinkmann, Vertreter des Generalbundesanwalts als oberstem Ankläger der Republik, fügte zum Mosaik, was 50 Zeugen und drei Sachverständige ausgesagt und die staatlichen Ermittler an Steinchen zusammengetragen haben. Kaplan, Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung, akzeptiere als seine Verfassung nur den Koran: "Der Versuch der Anpassung, der Assimilation ist diesen Fundamentalisten fremd"; sie glaubten, "in einem Staat innerhalb des Staates Bundesrepublik Deutschland zu leben". Der bizarre Fall ist einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte: Metin Kaplans charismatischer Vater Cemaleddin gründete 1984 in Köln den "Verband der islamistischen Vereine und Verbände". Von 1992 bis 1994 hieß die straff geführte Organisation "Föderativer islamischer Staat Anatolien", dann "Kalifatstaat" Im Mai 1995, nach dem Tod seines Vaters, rückte der Sohn an die Spitze der Organisation. Der Türke, anerkannter Asylbewerber, sieht sich als letztes Glied in der Nachfolge des Propheten Mohammed. Sein Ziel: die Herrschaft in der Türkei auf der Grundlage der Scharia, des islamischen Gesetzes; die deutsche Rechtsordnung negiert er. Die Bundesrepublik lehnte wiederholt die Auslieferung Kaplans ab - weil ihm in der Türkei die Todesstrafe droht. Obwohl die deutschen Behörden ihm politische Abstinenz zur Auflage gemacht hatten, rief Kaplan seine etwa 1200 Anhänger zum "heiligen Krieg" auf; er wollte "das Marionettensystem in der Türkei" stürzen und seinen "Gottesstaat" etablieren. Der Generalbundesanwalt deutet Kaplans fundamentalistischen Kalifatstaat "Hilefet Devleti" als terroristische Vereinigung. Ihr Ziel sei es, "Kritiker und Abweichler auszuschalten sowie fanatische Anhänger zu Anschlägen gegen die Türkei anzuleiten". Im Mai 1997 gab es einen Mord: In Berlin hatte sich Kaplans Rivale Sofu zum "Gegenkalifen" ausgerufen - und war vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder von bisher Unbekannten erschossen worden, nachdem Kaplan und einer seiner "Berater" während einer Hochzeitsfeier Todesdrohungen ausgesprochen hatten. Sie hätten auf Sofus Tötung "hingearbeitet", sagte Oberstaatsanwalt Brinkmann gestern im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts. Kaplan hatte diesen Vorwurf stets zurückgewiesen: Er habe lediglich aus dem Koran zitiert. Ankläger Brinkmann stellte klar, der Prozess richte sich nicht, wie Kaplans Anhänger behaupten, gegen den Islam. Der Senat will Mitte November das Strafmaß für Kaplan und seine beiden Mitangeklagten verkünden. |