taz 2.11.2000 Bloß keine Einseitigkeiten Kanzler Schröder vermeidet bei seiner Reise durch den Nahen Osten, Partei zu nehmen, und warnt die Palästinenser vor der Ausrufung eines Staates aus Jerusalem SUSANNE KNAUL Unter dem Eindruck, dass eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern denkbar ist, beendete Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern seine Reise durch den Nahen Osten. Die letzte Station war die Stadt Gaza, wo Schröder mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat zusammentraf und ihm als humanitäre Geste die kostenfreie Behandlung von 50 bei den Unruhen schwer verletzten Palästinensern in der Bundesrepublik zusagte. Arafat werde, so meinte der Kanzler im Anschluss an das Gespräch mit dem Palästinenserpräsidenten, "wenn die Bedingungen stimmen", auch an den Verhandlungstisch zurückkehren. Schröder riet mit Blick auf die mögliche Staatsdeklaration seinem Gesprächspartner dringend von unilateraten Schritten ab. Das palästinensische Volk habe ein Recht auf den Staat, dennoch sei eine Staatsausrufung derzeit schädlich für den Friedensprozess, meinte Schröder: "Klug ist es, in einer schwierigen Zeit wie dieser möglichst Einseitigkeiten jeder Art zu vermeiden." Arafat selbst äußerte sich nach dem Gespräch mit Schröder nicht dazu. Er erklärte lediglich, sein Ziel sei "ein Naher Osten ohne Krieg". Mit Forderungen, etwa zum Status Jerusalems, hielt er sich allerdings zurück. Immerhin keine Pannen Alles in allem schien sich in der Delegation Erleichterung darüber breit zu machen, dass der Besuch des Kanzlers in das Krisengebiet ohne größere Zwischenfälle ablief und ihn keine der Seiten in die Enge getrieben habe, angesichts der jüngsten Unruhen eventuell Partei zu beziehen. Der Kanzler hielt an dem unbestrittenen Existenzrecht Israels genauso fest wie an dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Schröder habe einen Beitrag dazu geleistet, dass der Gesprächsfaden zwischen den beiden Seiten nicht abreißt, und er habe die Besonnenen gestärkt, hieß es aus dem Umfeld des Kanzlers zufrieden. Für den Fall, dass die Unruhen aufhören, stellte er den Palästinensern zusätzliche Finanzhilfe in Aussicht. Die pro Kopf geleistete wirtschaftliche Unterstützung der Bundesrepublik ist schon jetzt nirgends so hoch wie in den Palästinensergebieten. Für die 2,9 dort lebenden Menschen sagte die Bundesrepublik, inklusive der noch in den kommenden Jahren laufenden Projekte, bereits 465 Millionen Mark an finanzieller und technischer Hilfe zu. In allen seinen Gesprächen mit den Führern der besuchten Nahoststaaten hielt der Bundeskanzler an seinem Appell zur Umsetzung der Abkommen von Scharm al-Scheich fest. Auch mit Blick auf eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik sei Gewalt nicht förderlich. Der Reise Bundeskanzler Schröders hatte sich nach ursprünglicher Planung eine Delegation aus der Industrie anschließen sollen, was aber abgesagt worden war. Unterdessen dauern die Bemühungen zwischen Israel und den Palästinensern - trotz der fortgesetzten Unruhen - an, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Nach dem Telefonat zwischen Israels Premierminister Ehud Barak und Jassir Arafat bestätigte ein Sprecher des Palästinenserpräsidenten gestern das Treffen mit Schimon Peres. Zudem reiste der derzeitige israelische Außenminister Schlomo Ben-Ami in die Vereinigten Staaten, wo er mit dem palästinensischen Unterhändler bei den Friedensgesprächen, Saeb Erikat, zusammentreffen will. Die israelische Tageszeitung Yediot Achronot ("Letzte Neuigkeiten") berichtete diese Woche gar von "geheimen Verhandlungen" zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses. Beiden Seiten gehe es nicht nur um eine Beendigung der Gewalt. Laut den Berichten ist "irgendwann zwischen dem 10. und dem 20. November" ein Gipfeltreffen geplant. Unruhen gehen weiter Gleichzeitig kündigten die Tansim, die Fatah-Organisation, die als Anführer der Unruhen in den Palästinensergebieten gilt, und die Hamas an, gemeinsam den Kampf fortsetzen zu wollen. In seinem Telefonat mit Barak hatte Jassir Arafat durchblicken lassen, dass er die Lage kaum noch kontrollieren kann. Am Vortag hatte es erneut fünf palästinensische Todesopfer gegeben, und gestern Nachmittag meldeten die Palästinenser drei weitere Todesopfer. Zwei minderjährige Demonstranten wurden von Gewehrkugeln an dem Grenzkontrollpunkt Karni getötet, wo es am Mittag zu schweren Auseinandersetzungen gekommen war. Die Sprecherin der palästinensischen Friedensdelegation in Camp David, Hannan Aschrawi, bat unterdessen um internationalen Schutz. Saeb Erikat wird vermutlich auch mit diesem Ziel im Verlauf seiner USA-Reise mit der amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright und Uno-Generalsekretär Kofi Annan zusammenkommen. Auch der amtierende israelische Außenminister Schlomo Ben-Ami wird mit der US-Außenministerin zusammentreffen. Ben-Ami hatte zuvor eine Reihe europäischer Politiker getroffen. Nach seinem Gespräch mit dem britischen Premierminister Tony Blair meinte der israelische Außenminister: "Großbritannien will eine unilateralte Deklaration eines palästinensischen Staates nicht unterstützen." Die europäischen Staaten seien insgesamt heute "den israelischen Positionen näher als je zuvor". Ben-Ami appellierte an die EU-Nationen, ihren ganzen Einfluss geltend zu machen, damit die Abkommen von Scharm al-Scheich umgesetzt werden. |