Frankfurter Rundschau, 2.11.2000 Geheimnisverrat beherrschte die NPD-Debatte Koch gibt Medien Mitschuld an rechtsrextremen Übergriffen / Grüne fragen nach Hahns Informationen Von Matthias Bartsch Die Haltung von Regierungschef Roland Koch (CDU) zum NPD-Verbot und die Weitergabe geheimen Materials des Verfassungsschutzes prägten eine scharf geführte Debatte des Landtages am Mittwoch. Während Koch seine Ablehnung eines NPD-Verbotsantrages verteidigte, warfen ihm SPD und Grüne vor, er bereite "den Nährboden" für rechtsextreme Strömungen und sei an der Aufklärung des Geheimnisverrats nicht interessiert. WIESBADEN. Es war eine immer wieder von Zwischenrufen und emotionalen Ausbrüchen unterbrochene Debatte. Koch warf den Medien vor, durch ihre Berichterstattung über rechtsextreme Straftaten "Nachahmerprozesse" ausgelöst zu haben. Unter anderem deshalb sei die Zahl der Übergriffe gegen Ausländer im August angestiegen. Der Regierungschef erneuerte seine Einschätzung, dass der Verbotsantrag gegen die NPD beim Bundesverfassungsgericht juristisch zu riskant sei. Dass vergangene Woche in der Presse Auszüge aus einem Bericht des hessischen Verfassungsschutzes veröffentlicht wurden, in denen ebenfalls vor den Risiken eines Verbotsantrages gewarnt wird, sei "nicht in Ordnung", sagte er. Koch gestand zu, dass es sich bei der Weitergabe der Berichts-Auszüge um eine Straftat gehandelt habe. Der Vorgang werde "aufgeklärt". Bei SPD und Grüne erinnerte dies an Kochs Versprechen von der angeblich "schonungslosen Aufklärung" in der CDU-Finanzaffäre. SPD-Vize-Fraktionschef Gerhard Bökel wies darauf hin, dass zumindest bis vor kurzem auch der hessische Verfassungsschutz noch der Ansicht gewesen sei, das gesammelte Material reiche für ein NPD-Verbot aus. Als Ende vergangener Woche die Regierungschef der Bundesländer über das Thema berieten, seien nur Koch und sein saarländischer Kollege Peter Müller (CDU) nicht dieser Ansicht gewesen. Es sei merkwürdig, dass genau zu dem Zeitpunkt Passagen aus einem hessischen Verfassungsschutzbericht an die Presse lanciert würden, durch die Kochs Haltung plötzlich gestützt werde. Diese Auszüge stammen aus einem geheimen Bericht, den das Landesamt für Verfassungsschutz vor etwa 14 Tagen für die Koch-Regierung verfasst hatte. Derzeit ermittelt das Bundeskriminalamt, wer das Material weitergegeben hat. Bökel sagte, Koch trage zumindest die politische Verantwortung für diesen Rechtsbruch. Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir forderte zudem Aufklärung darüber, ob auch FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn unberechtigterweise das geheime Material zugespielt bekommen habe. Hahn hatte in einem Fernsehinterview behauptet, er habe das Material des Verfassungsschutzes zum NPD-Verbot gelesen. Auf Nachfrage nach der Quelle seines Wissens führte Hahn seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) an. In diesem Gremium, das den Geheimdienst kontrollieren soll, sei der Bericht aber gar nicht vorgelegt worden, sagte Al-Wazir, der dort ebenfalls Mitglied ist. Der Grünen-Fraktionschef griff Hahn auch für einen Zwischenruf während der Debatte scharf an. Auf den Hinweis eines Grünen-Abgeordneten, dass in Deutschland bereits hundert Menschen durch rechtsextreme Gewalt getötet worden seien, hat Hahn nach Auskunft mehrerer Parlamentarier gerufen: "Da müsste man ja auch das Auto verbieten." Dies sei "eine unglaubliche Verharmlosung von Mord und Totschlag durch rechte Gewalt", so Al-Wazir. Hahn hatte zuvor erneut erklärt, dass die NPD politisch, nicht juristisch bekämpft werden müsse. Er wehre sich dagegen, wegen dieser Haltung als "schlechter Demokrat" bezeichnet zu werden.
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