Süddeutsche Zeitung, 03.11.2000 Nur wenige Stunden nach Vereinbarung über Feuerpause Bombe erschüttert Waffenruhe in Nahost Zwei Tote und mindestens zehn Verletzte in Jerusalem / Barak und Arafat wollen an Gewaltverzicht festhalten / Von Heiko Flottau G a z a - Nur wenige Stunden nach der überraschend vereinbarten Waffenruhe ist am Donnerstagnachmittag im Zentrum Jerusalems eine Autobombe explodiert. Dabei kamen mindestens zwei Menschen ums Leben. Die Explosion ereignete sich nur eine Stunde, bevor Israels Ministerpräsident Ehud Barak und Palästinenserpräsident Jassir Arafat eine gemeinsame Erklärung zum Gewaltverzicht abgeben wollten. Beide wollen trotz des Anschlags am Waffenstillstand festhalten. Arafat hatte mit Friedensnobelpreisträger Schimon Peres in Gaza vereinbart, die militärische Konfrontation nicht weiter zu verschärfen. Bei dem Autobombenanschlag auf einem Marktplatz im Zentrum Jerusalems wurden am Donnerstag zwei Menschen getötet und mindestens zehn verletzt. Die Attentäter konnten entkommen, laut einem Bekennerschreiben gehörten sie zu der radikal-islamischen Organisation Islamischer Dschihad. Der Markt Mahane Jehuda war bereits mehrfach Ziel von Terror. Die israelische Polizei teilte mit, eines der Opfer sei die Tochter des Chefs der Nationalreligiösen Partei gewesen, dem Sprachrohr der jüdischen Siedler. Das Attentat drohte die überraschend in der Nacht vereinbarte Waffenruhe zunichte zu machen. Israels Premierminister Ehud Barak warf der palästinensischen Autonomiebehörde vor, sie habe "die Zügel im Kampf gegen den Terrorismus aus der Hand gegeben". Er forderte die sofortige Wieder-Verhaftung der radikal-islamischen Extremisten, die die palästinensischen Behörden vor etwa drei Wochen aus den Gefängnissen entlassen hatten. Barak sagte, er wolle jedoch trotz des Anschlags am Waffenstillstand festhalten. Ursprünglich wollten Ehud Barak und Palästinenserpräsident Jassir Arafat am Donnerstagnachmittag gleichlautende Erklärungen zum Gewaltverzicht abgeben. Diese Erklärungen wurden jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Peres warnt vor Kontrollverlust Palästinenserpräsident Arafat und der ehemalige israelische Ministerpräsident Schimon Peres hatten sich zuvor in Gaza auf Maßnahmen zur Beendigung der Gewalt geeinigt. Die beiden Friedensnobelträger vereinbarten, dass die israelischen Truppen zunächst die Blockade palästinensischer Städte lockern und aufheben sollten, wenn nach 48 Stunden die Gewalt weitgehend beendet sein sollte. Wenn nach einer Woche die Waffenruhe Bestand haben würde, wollten beide Parteien wieder Verhandlungen aufnehmen. Peres sagte, ein Waffenstillstand sei die letzte Möglichkeit, zu verhindern, dass die Situation völlig eskaliere. Es sei ein Punkt erreicht, an dem die führenden Politiker beider Seiten fühlten, dass ihnen die Kontrolle aus den Händen gleite und dass dies in einem schrecklichen Blutvergießen enden könnte. Er sei zuversichtlich, dass Arafat alles tun werde, um die Gewalt zu beenden, sagte er. Noch vor dem Anschlag hatte Israels Armee am Donnerstagmorgen mit dem Abzug schwerer Waffen aus den Randgebieten um palästinensische Städte begonnen, wie Peres und Arafat dies in Gaza vereinbart hatten. Israel setzte die geplanten Vergeltungsschläge für den Tod der drei israelischen Soldaten aus. Barak sagte, er wolle damit versuchen, "die Spirale der Gewalt" zu beenden, um die Sicherheitszusammenarbeit wieder zu ermöglichen.Trotz der Vereinbarung kam es aber auch am Donnerstagmorgen zu vereinzelten Zusammenstößen zwischen protestierenden Palästinensern und israelischen Soldaten. Nach israelischen Angaben eröffneten palästinensische Polizisten im Gaza-Streifen das Feuer auf eine israelische Militärpatrouille. Die palästinensische Autonomie-Behörde bestätigte trotz der Vorfälle die zwischen Arafat und Peres ausgehandelte Waffenruhe. Informationsminister Jassir Abed Rabbo sagte, die palästinensische Führung fordere das palästinensische Volk und "alle nationalen Kräfte" dazu auf, sich auf friedliche Demonstrationen innerhalb des palästinensisch kontrollierten Gebietes zu beschränken. Die radikal-islamische Widerstandsbewegung Hamas und der Islamische Dschihad lehnten die Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Arafat und Peres erwartungsgemäß ab. Die Hamas nannte die Vereinbarung eine "amerikanisch-israelische" Verschwörung und begrüßte den Anschlag in Gaza. Die "Intifada gegen die Besatzungsmacht der Siedler" müsse fortgesetzt werden, hieß es in einer Stellungnahme. Den heutigen Freitag rief der Dschihad erneut zu einem "Tag des Zornes und des Widerstandes" aus. |