junge Welt, 04.11.2000 Sippenhaft im Musterländle Baden-Württemberg: Initiativen kritisieren inhumane Praxis bei der Asyl-Altfall-Regelung Ausländische Flüchtlinge mit unsicherem Aufenthaltstitel, die seit mindestens sieben Jahren in Deutschland leben, können unter bestimmten Bedingungen ein Bleiberecht bekommen. Diese ogenannte »Altfallregelung« wurde am 19.November 1999 von der Innenministerkonferenz beschlossen. Durch die einschränkenden Bedingungen haben allerdings die wenigsten Flüchtlinge die Möglichkeit, von dieser Regelung zu profitieren. Der Flüchtling muß seinen Lebensmittelpunkt ununterbrochen in Deutschland gehabt haben und die Erfüllung bestimmter »Integrationserfordernisse«, wie Unabhängigkeit von Sozialhilfe und ausreichenden Wohnraum nachweisen können. Die Umsetzung der Altfallregelung wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich umgesetzt, besonders inhuman jedoch im CDU/FDP-regierten Baden-Württemberg. So wird im Ländle die gesamte Familie in einer Art »Sippenhaft« vom Bleiberecht ausgeschlossen, wenn ein Familienmitglied straffällig wird. Die Forderung nach ausschließlicher Sicherung des Lebensunterhaltes durch eigene Erwerbstätigkeit wird im Südwesten besonders restriktiv angewendet, wie das Beispiel der Familie Usta zeigt. Sie stammt aus einem kleinen kurdischen Ort in der Türkei. 1990 floh der 52-jährige Apto Usta nach Freiburg, seine Frau Ayse und die drei Kinder kamen später nach. Heute lebt die Familie in einem Flüchtlingswohnheim in Freiburg. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Die Ausländerbehörde stellte seitdem Duldungen im Zwei-Monats-Rhythmus aus, jederzeit war mit einer Abschiebeverfügung zu rechnen. Ihr Antrag auf der Grundlage der Altfallregelung wurde jedoch abgelehnt. Der Vater und eine Tochter sind schwer krank, keines der fünf Familienmitglieder kann für den Unterhalt der gesamten Familie aufkommen, sie beziehen deshalb Sozialhilfe. In der Altfallregelung wird Erwerbsunfähigkeit nur toleriert, wenn der Unterhalt trotzdem durch eigene Mittel gesichert ist. »Das ist bei Asylbewerberfamilien, die in der Regel mittellos sind, völlig absurd«,so der Anwalt der Familie, Michael Moos. Gegen den restriktiven Umgang mit Flüchtlingsfamilien im Südwesten haben jetzt verschiedene Initiativen protestiert. »Die Praxis in Baden-Württemberg ist inhuman und boshaft«, erklärten das »Südbadische Aktikonsbündnis gegen Abschiebungen« und »Kein Mensch ist illegal« in einer gemeinsamen Mitteilung am Donnerstag. Baden-Württemberg sei mit einer Anerkennungsquote von sieben Prozent Schlußlicht in Deutschland. Bis zu 150 Flüchtlinge könnten in Freiburg ein Bleiberecht bekommen, würde die Regelung weniger restriktiv ausgelegt, teilte der Freiburger Ausländerbeirat mit. Statt dessen wurden bislang nur 20 Anträge positiv beschieden. In einem Appell an die Stuttgarter Landesregierung fordert der Beirat, die von der Mehrheit der Bundesländer erlassenen großzügigeren Ausführungsvorschriften zu übernehmen. Einen »sinnvollen Beitrag zu einer Integration ausländischer itbürger« könne man in der praktizierten Politik nicht erkennen, so der Beirat weiter. Martin Höxtermann
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