Frankfurter Rundschau, 4.11.2000 AI prangert Folter in Europa an "Kein sicherer Platz" / 50 Jahre Menschenrechtskonvention Von Roman Arens ROM, 3. November. Von Mittwoch an wird vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Klage des letzten DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz wegen seiner Verurteilung in der Bundesrepublik verhandelt. Zwei Wochen später geht es vor demselben Gericht in Straßburg um die Beschwerden des Kurdenführers Abdullah Öcalan gegen die Türkei. Grundlage für diese Verfahren ist die Europäische Menschenrechtskonvention, die vor 50 Jahren in Rom von den Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet wurde. Grund für eine Jubiläumsfeier und Ministerberatungen in der italienischen Hauptstadt. Für Gastgeber Italien, derzeit federführend im Europarat, schlug Außenminister Lamberto Dini bei der Konferenzeröffnung vor, alle Staaten sollten in ihren Verfassungen die Todesstrafe ausschließen. Eine Resolution, die der Konferenz vorliegt, verurteilt zudem Folter, Gewalt und Diskriminierung von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Minderheiten. "Folter und Misshandlungen existieren weiter in ganz Europa", mahnt Amnesty International (AI) aus Anlass des Jubiläums. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe man Folter und Misshandlungen in 25 Ländern dokumentiert, "zwanzig davon Mitgliedsstaaten des Europarates, einschließlich Belgien, Russland und Spanien". In der Türkei sei Folter an der Tagesordnung. Auch die deutsche Polizei müsse an ihrem Bewusstsein für die Menschenrechte arbeiten, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Barbara Lochbihler laut der Nachrichtenagentur epd am Freitag in Berlin. Sie erinnerte an den Fall eines Sudanesen, der 1998 bei der Abschiebung aus Deutschland zu Tode kam. Bei Misshandlungen gebe es in Deutschland "Fälle in der Grauzone". Opfer von Folter und Misshandlungen werden laut Amnesty vor allem Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, Einwanderer, Flüchtlinge, Asylbewerber, Kinder, Kriminelle und Verdächtige. "Diskriminierung erleichtert Folter" sagte Lochbihler. Sie rief zu "besonderer Wachsamkeit" bei Abschiebungen auf. Abgelehnte Asylbewerber seien sehr schutzbedürftig, weil ihnen weniger Rechte zuerkannt würden. Amnesty kommt zu dem Ergebnis, dass Europa "kein bequemer und sicherer Platz für all seine Bewohner" sei. Wie das geändert werden kann, ist Hauptthema der Konferenz. Walter Schwimmer, Generalsekretär des Europarates, machte das kolossale Ausmaß der nötigen Anstrengungen deutlich. Schutz der Menschenrechte "beginnt und endet" im Heimatland. Sie könnten aber nur wirklich geschützt werden unter "stabilen und demokratischen" Bedingungen. Der Generalsekretär machte sich für das Subsidiaritätsprinzip auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stark: Das Straßburger Gericht sollte dann tätig werden, wenn die nationale Gerichtsbarkeit nicht angemessen für Schutz sorgen kann. Zur Zeit sind dort mehr als 15 000 Verfahrensanträge eingereicht.
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