junge Welt, 04.11.2000

Kommentar

Auge um Auge?

Israel besteht auf Gewaltmonopol über Palästina

Mit alttestamentarischer Härte geht Israel gegen die palästinensische Rebellion in den besetzten Gebieten vor. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das ist noch eine glatte Untertreibung. Für ein Auge hundert Augen und für einen Zahn hundert Zähne, lautet die Rechnung. Aus dieser Perspektive hören sich die Appelle der »internationalen Öffentlichkeit« zum beiderseitigen Gewaltverzicht ziemlich heuchlerisch an. Zumal im Namen dieser Öffentlichkeit ausschließlich Clinton und die EU-Granden das Wort ergreifen. Die Palästinenser wissen zwar die Mehrheit der UNO-Mitgliedsländer hinter sich, doch das nützt ihnen nichts. Israel wird seine Militäraktionen erst dann einstellen, wenn sich auf der Westbank und im Gazastreifen kein Araber mehr auf die Straße wagt. Nicht um beiderseitigen Gewaltverzicht geht es der israelischen Führung, sondern um die Ausübung des Gewaltmonopols über Palästina. Wenn das die Zukunft des palästinensischen Staates sein sollte, wäre es besser, ihn nicht zu gründen.

In der Logik dieses Anspruchs auf alleinige militärische Kontrolle der Region liegt auch die Ablehnung einer von den Palästinensern geforderten UN-Schutztruppe begründet. Israel kann sich des Vetos der USA im UN-Sicherheitsrat sicher sein. Und die Vollversammlung der Vereinten Nationen kann beschließen, was sie will, kein Blauhelmsoldat muß ihren Resolutionen Folge leisten. Über die Entsendung on »Friedenstruppen« entscheiden die USA und ihre Verbündeten. Und das bestimmt auch den Charakter von Blauhelm-Einsätzen. Wenn UN-Friedenstruppen in Bewegung gesetzt werden, haben sie nicht den Frieden, sondern die Pax Americana sicherzustellen. Wo ein UN-Engagement gerechtfertigt wäre, ist es nicht durchsetzbar, und wo es durchsetzbar ist, ist es nicht gerechtfertigt.

Die Lage der Palästinenser stellt sich seit 1948 als ununterbrochene humanitäre Katastrophe dar. Nach der zionistischen Landnahme vertrieben, wurde der Flüchtlingsstatus zu ihrer Nationalität. In den arabischen Aufnahmeländern bildeten sie den Katalysator sozialer Konflikte. Sie revolutionierten die Verhältnisse, das Scheitern der revolutionären Bestrebungen beschleunigte indes den Prozeß ihrer Deklassierung. Doch das ist die Art einer humanitären Katastrophe, die einer um die Einhaltung der Menschenrechte besorgten Interventionsgemeinschaft nie wirkliche Sorgen bereitete. Die Bekämpfung einer kriminellen Sezessionsbewegung im Kosovo befand der Westen als humanitären Katastrophenfall. Das brutale israelische Okkupationsregime aber entzieht sich jeder internationaler Kritik.

Werner Pirker