Kölner Stadt-Anzeiger, 7.11.2000

Porträt

Darf der tote Dichter endlich heim?

Bittschrift für Nazim Hikmet an die türkische Regierung

Gerd Höhler

Er ist schon 37 Jahre tot, aber in Frieden ruht er nicht. Der 1963 im Moskauer Exil gestorbene Türke Nazim Hikmet galt als einer der bedeutendsten Dichter seiner Zeit, als ein Lyriker von Weltrang. Aber in seiner türkischen Heimat ist er noch heute unerwünscht. Jetzt wollen türkische Linke seine Rehabilitierung durchsetzen. Eine sozialistische Splitterpartei schickte am Wochenende eine Petition mit 500 000 Unterschriften an Ministerpräsident Bülent Ecevit. Er soll helfen, dem 1951 ausgebürgerten Dichter posthum die türkische Staatsangehörigkeit zurückzugeben und seine sterblichen Überreste in die Türkei zu überführen, um ihn so zu begraben, wie er sich selbst das gewünscht hatte - "unter einer Pappel, in irgendeinem kleinen Dorf Anatoliens".

Hikmet gilt als der entscheidende Neuerer der türkischen Lyrik. Er befreite die Poesie aus den erstarrten Konventionen des Jahrhunderte alten ottomanischen Formen- und Themenkanons. Das stereotype, traditionelle Vokabular ersetzte Hikmet durch die Alltagssprache und mitunter kühne eigene sprachliche Neuschöpfungen. Seine Bücher wurden in rund 50 Sprachen übersetzt, in der Türkei aber blieben sie bis vor wenigen Jahren verboten. Hikmet wurde 1902 als Sohn eines Diplomaten und einer Malerin im damals noch osmanischen Thessaloniki geboren. Schon als 17-jähriger kam er mit der Obrigkeit in Konflikt. Wegen seiner Gedichte, in denen sich nach Meinung der Zensoren "marxistische Gesinnung" offenbarte, wurde er von der Offiziersschule gewiesen. Nach einem Studium an der Moskauer "Kommunistischen Universität für die Werktätigen des Orients" kehrte Hikmet 1924 in die Heimat zurück und schloss sich der verbotenen türkischen KP an.

1950 wurde Hikmet nach insgesamt 18 Jahren Haft im Rahmen einer Amnestie freigelassen. Als der mittlerweile 43-jährige und schwer herzkranke Dichter im Jahr darauf einen Einberufungsbescheid zur Armee erhielt, flüchtete er in die Sowjetunion. Wenige Tage später erkannte ihm die Regierung in Ankara die türkische Staatsangehörigkeit ab. Dabei blieb es bis heute.

Nazim Hikmets Ausbürgerung liegt fast ein halbes Jahrhundert zurück. Aber die jetzt wieder auflebende Debatte um seine Rehabilitierung ist hoch aktuell. Es geht auch um die Frage, wie die heutige Türkei, die sich selbst auf dem Weg nach Europa sieht, mit Dissidenten und unbequemer Literatur umgeht.

1958 schrieb er im Exil: "Mein Land, weder eine Mütze habe ich von dir, noch ein Paar Schuhe, die deine Wege gegangen sind. Du bist jetzt nur noch im Grau meines Haares, im Infarkt meines Herzens, in den Falten meiner Stirn."