DER STANDARD, 9. November 2000 Rücksicht auf türkische Sensibilitäten Trotz Kritik: Ankara findet EU-Bedingungskatalog für Beitrittspartnerschaft akzeptabel STANDARD-Korrespondent Jürgen Gottschlich aus Istanbul Mit Erleichterung ist in Ankara der Katalog der EU zur Kenntnis genommen worden, in dem Brüssel seine Forderungen für eine Beitrittspartnerschaft an die Türkei formuliert hat. Der Maßnahmenkatalog, hieß es in Ankara, sei akzeptabel und hätte auf die Sensibilitäten der Türkei Rücksicht genommen. Das am Mittwoch in Brüssel vorgelegte Papier, ist die konkrete Beschreibung der Maßnahmen, die die türkische Regierung zur Umsetzung der Kopenhagener Kriterien ergreifen soll. Die Stolpersteine des Katalogs sind die politischen Forderungen. Von der Todesstrafe über Folter, Meinungsfreiheit, kulturelle Rechte für Minderheiten und Einfluss des Militärs hat der für die Erweiterung zuständige Kommissar Günter Verheugen keines der Themen ausgespart, die schon bislang für Furore im Verhältnis der Türkei zur EU gesorgt haben. Das Gesicht wahren Allerdings hat man in Brüssel sorgfältig darauf geachtet, die Forderungen sprachlich so zu verpacken, dass die türkische Seite ihr Gesicht wahren kann. Außerdem wird ein Zeitrahmen für die Umsetzung vorgeschlagen, der realistisch erscheint. Kurzfristig, also innerhalb eines Jahres, soll Ankara die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jede Beschränkung der Meinungsfreiheit aufgehoben und Folter wirksam bekämpft wird. Für die größeren Reformwerke will man Ministerpräsident Ecevit und seinen Koalitionären Mesut Yilmaz und Devlet Bahceli etwas mehr Zeit lassen. Die brisantesten Fragen sind die kulturellen Rechte für Minderheiten und der Einfluss des Militärs. Die EU erwartet, dass künftig alle türkischen Staatsbürger Rundfunkprogramme in ihrer Muttersprache empfangen können und in den Schulen auch muttersprachlicher Unterricht stattfindet. Ohne sie explizit zu erwähnen, sind damit primär die seit langem geforderten kulturellen Rechte für die Kurden gemeint. Noch ist es so, dass es ohne eine Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, den das Militär dominiert, eine solche Reform nicht geben wird. - Damit ist auch schon der zweite, wichtige Punkt beschrieben. Die EU fordert, dass der Nationale Sicherheitsrat bis Ende 2001 von seiner heutigen, dominierenden Position zu einem reinen Konsultativorgan reduziert wird. Mit anderen Worten: Die Militärs sollen das Primat der Politik akzeptieren. Im Prinzip ja, heißt es vom Militär, aber die EU müsse auch die besondere Situation der Türkei berücksichtigen.
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