Frankfurter Rundschau, 09.11.2000 Grüne sprechen sich für Zuwanderungsquoten aus Kontingente für Arbeitskräfte, Bürgerkriegsflüchtlinge und Spätaussiedler vorgeschlagen / Asylrecht soll bleiben Von Vera Gaserow Die Bündnisgrünen wollen noch in dieser Legislaturperiode möglichst umfassende gesetzliche Einwanderungsregelungen schaffen. Dabei soll das Asyl-Grundrecht unangetastet bleiben. In einem am Mittwoch vorgelegten Eckpunkte-Papier fordern die Grünen darüber hinaus, Bundestag und Bundesrat sollten regelmäßig flexible Zuwanderungsquoten für Arbeitskräfte und bestimmte Flüchtlinge beschließen. BERLIN, 8. November. "Deutschland ist ein Einwanderungsland, die Bundesrepublik braucht Einwanderung und wir wollen sie gestalten", erklärte Parteichefin Renate Künast bei der Vorstellung des Konzepts. Der Begriff "multikulturelle Gesellschaft" findet sich in dem Papier nicht wieder, das eine flügelübergreifende Gruppe aus Grünen-Fraktion und Parteispitze erarbeitet hat. Künast will ihn eher durch "multikulturelle Demokratie" ersetzen. Deutlicher als bisher räumen die Grünen ein, dass nationale Eigeninteressen bei der Zuwanderung berücksichtigt werden müssten. "Wirtschaftliche und kulturelle Interessen unseres Landes", heißt es, müssten sich mit den "Grundzügen einer demokratischen, menschenrechtlich humanen und weltoffenen Politik" verbinden. Künftige Einwanderung wollen die Grünen nicht an einer starren Gesamtquote orientieren, in der Zuwanderergruppen gegeneinander aufgerechnet würden. Das individuelle Grundrecht auf Asyl lasse sich ohnedies nicht quotieren und stehe für die Grünen "nicht zur Disposition". Auch die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft sei keine starre Größe, denn "eine objektiv messbare Belastungsgrenze gibt es nicht". Konkret schlagen die Grünen ein Drei-Säulen-Modell vor. Für wirtschaftliche Zuwanderung sollten Bundestag und Bundesrat regelmäßig und nach Anhörung gesellschaftlicher Gruppen nach Branchen differenzierte Quoten beschließen. Auch sollte das Parlament turnusmäßig entscheiden, wieviele und welche Migrantengruppen aus politischen und humanitären Gründen aufgenommen werden. In diese Gruppe wollen die Grünen Bürgerkriegsflüchtlinge und Spätaussiedler einbeziehen. Die dritte Säule des Einwanderungsmodells soll einklagbare Rechtsansprüche auf Zuwanderung umfassen. Dazu zählen die Grünen das Grundrecht auf Asyl und das Recht auf Familiennachzug. Beim Familiennachzug sollen die geltenden Regelungen an die großzügigeren Vorschläge der EU-Kommission angepaßt werden. Anders als die Unionsparteien wollen die Grünen Zuwanderung nicht an Integrationsauflagen, Sprachkenntnisse oder Verfassungsbekenntnisse binden. Vielmehr solle der Staat etwa mit Sprachkurs-Angeboten Integrationsanreize schaffen. Mit ihrem Konzept wollen die Grünen eine gesellschaftliche und innerparteiliche Debatte anstoßen. Mit einer Gesetzesinitive wollen sie - in Absprache mit der SPD - warten, bis die Zuwanderungskomission im Sommer ihre Ergebnisse vorgelegt hat. Der CDU-Wirtschaftsrat forderte derweil, Deutschland müsse sich für den Zuzug qualifizierter Kräfte aus dem Ausland öffnen. "Das Boot ist noch nicht voll", sagte der neue Präsident der parteinahen Organisation, Kurt Lauk, in Berlin.
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