taz 10.11.2000

Saddam Hussein spielt wieder mit

Sanktionen gegen Bagdad werden unterlaufen. "Food for oil"-Programm bringt dem Irak nicht genügend Nahrungsmittel. Vor allem die Türkei und Jordanien wollen normalen Handel. Auch Frankreich und Russland sind für Aufhebung des Embargos

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

In Bagdad geben sich derzeit Wirtschaftsminister und Geschäftsleute aus aller Welt die Klinke in die Hand. Grund dafür ist eine Handelsmesse, die "die internationale Isolation Iraks beendet hat", wie Vizepräsident Taha Yassin Ramadan stolz verkündete.

Tatsächlich geht es darum, dass alle dabei sein wollen, wenn das Ölland Irak wieder lukrative Aufträge an ausländische Unternehmen vergibt. Zwar sind die seit der irakischen Invasion in Kuwait 1990 verhängten UNO-Sanktionen unverändert in Kraft. Doch haben die steigenden Ölpreise und die Aussicht auf länger anhaltende hohe Energiepreise dazu geführt, dass das Embargo immer häufiger unterlaufen wird. Die Politik der USA und Großbritanniens, Saddam Hussein durch das Wirtschaftsembargo zu stürzen, ist gescheitert.

Im UN-Sicherheitsrat plädieren vor allem Russland und Frankreich seit längerem für eine Aufhebung der Sanktionen. Beide Länder haben ihre Position dadurch unterstrichen, dass Flugzeuge aus Paris und Moskau mit jeweils prominenten Delegationen an Bord entgegen den Sanktionsbeschlüssen wieder direkt in Bagdad gelandet sind. Auch Irland, die Vereinigten Arabischen Emirate, Libanon und die Türkei haben mittlerweile wieder Direktflüge nach Bagdad durchgeführt. In Moskau wird erwogen, die irakische Hauptstadt mit Chartermaschinen wieder regelmäßig anzufliegen.

Neben Russland sind es vor allem die Nachbarländer Jordanien und die Türkei, die endlich wieder mit dem Irak ins Geschäft kommen wollen. Als enge Alliierte der USA hat die türkische Regierung sich seit Jahren zähneknirschend an das Embargo gehalten und dabei nach eigenen Angaben jedes Jahr Milliarden Dollar Verluste gemacht. Damit soll jetzt Schluss sein. Staatsministers Tunca Toskay reiste aus Ankara an, um gleich eine ganze Reihe von Projekten mit den Nachbarn zu beschließen. Auf dem Papier wird das Embargo beibehalten, in der Praxis will die Türkei den erlaubten kleinen Grenzverkehr aber so weit ausdehnen, dass das Vorkriegs-Handelsniveau wieder erreicht wird.

Bereits vor Beginn der Messe hatte der türkischen Energieminister Ersümer angekündigt, man werde die Ölpipeline von den irakischen Feldern in Kirkuk an den türkischen Mittelmeerhafen Yumurtalik wieder so instand setzen, dass die volle Kapazität durchgepumpt werden kann. Die Pipeline über Syrien ist bereits wieder in Betrieb genommen worden. Gleichzeitig will die Türkei vom Irak höhere Transitgebühren oder einen ausreichenden Anteil am Öl. Für den Winter drohen die Energiereserven knapp zu werden.

Dafür wird offenbar in Kauf genommen, dass der Irak mehr Öl verkauft, als nach dem "Oil for food"-Programm der UNO erlaubt ist. Mit den Erlösen aus dem erlaubten Programm kann der irakische Bedarf an Lebensmitteln und Medikamenten nicht gedeckt werden. Obendrein zweigt die UNO aus den offiziellen Erlösen einen Teil ab: ein Drittel für einen Entschädigungsfonds für die Opfer der Kuwait-Invasion, einen Teil für ihre eigenen Verwaltungskosten. Nach irakischen Angaben ist seit 1996 Öl im Wert von 30 Milliarden Dollar exportiert worden, wovon jedoch nur für 8,3 Millarden Dollar Lebensmittel nach Irak eingeführt wurden.

Der Irak und die Türkei haben vereinbart, einen zweiten Grenzübergang zu öffnen und eine seit Jahren stillgelegte Eisenbahnlinie wieder in Betrieb zu nehmen. Das soll den Ölexport fördern. Solange es nur ums Geldverdienen geht, ist man in Washington offenbar gewillt, beide Augen zuzudrücken. Auf scharfe Kritik stößt dagegen die Absicht Ankaras, in den kommenden Wochen offiziell wieder einen Botschafter nach Bagdad zu entsenden. Immerhin blieb die Türkei in einem anderen Punkt hart gegenüber dem Irak: Die USA und Großbritannien dürfen weiterhin den Militärflughafen im südtürkischen Incirlik nutzen. Von dort aus überwachen die amerikanische und die britische Luftwaffe die Flugverbotszonen und greifen auch immer mal wieder irakische Stellungen an. Daran wird sich wohl auch nichts ändern, denn die türkische Armee profitiert am meisten von der Regelung: Sie kontrolliert mit Hilfe der Alliierten die kurdischen PKK-Verbände im Nordirak.